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Höhlenangst

Höhlenangst

Titel: Höhlenangst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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machten. Au ßerdem lag dort das Reutlinger Tagblatt von heute. Schere und Leimflasche obenauf. Janettes Artikel war halb herausgeschnitten.
    »Da steht was über Sie drin!«, sagte Gerrit an Richard gewandt.
    »Ich weiß. Aber es ist falsch.«
    »Was die Zeitung über Papa schreibt, ist auch immer falsch. Aber jetzt schreibt sie nicht mehr so viel über ihn. Laura und Volker haben sie mir immer in die Schule mitgebracht, wenn was über ihn drinstand.« Er spielte mit der Schere. »Papa kauft keine Zeitung. Aber die hat er heute mitgebracht, als er beim Bäcker war. Dabei steht gar nichts über ihn drin. Trotzdem war er wieder ganz traurig. Und dann hat er all seine Klettersachen aus der Truhe genommen und ins Auto getan. Er hat gesagt, er bringt sie nach Göppingen zur Höhlenrettung. Die können immer so Sachen brauchen für Übungen. Aber das war gelogen.«
    Richard setzte sich aufs Bett. »Wie kommst du darauf?«
    »Die Nummer der Höhlenrettung«, unterbrach ich, »die weißt du doch auswendig, Gerrit.«
    Der Junge rasselte sie herunter, ich tippte sie ins Han dy und ging hinaus auf die Treppe. Ein Diensthabender beschied mir, dass Hark weder bei ihnen gewesen sei, noch gerade dort sei oder erwartet werde. Als ich zurückkam, sagte Richard gerade: »Deine Mutter war bestimmt eine sehr schöne Frau.«
    Der Junge schob die Zeitung beiseite. Darunter lag ein Poesiealbum mit grünem Einband. Er schlug es bedächtig auf. Es enthielt keine handschriftlichen Sprüche und Gedichte von Klassenkameradinnen wie meines einst. Vielmehr klebte auf der ersten Seite ein Zeitungsausschnitt über Sibylles Tod mit dem Foto einer schönen jungen Frau mit großen dunklen Augen und schwarzem Kurzhaarschnitt. Vor allem um die Augen herum ähnelte Gerrit seiner Mutter sehr. Auf der gegenüberliegenden Seite klebte ein weiterer Artikel mit der Überschrift »Tragödie im Todsburger Schacht«.
    »Oma und Opa haben immer die Zeitung gelesen. Und dann habe ich sie mir genommen. Das war, als Papa im Krankenhaus lag. Und dann mussten wir hierher umziehen.«
    Auch einen Artikel über die vor gut einem Jahr erfolg te Wiederwahl Harks zum Vorsitzenden des Naturforschenden Vereins Schwäbische Alb gab es, aus dem mir der Begriff »unter ungeklärten Umständen zu Tode gekommen« entgegensprang.
    Dann folgten Seiten mit richtigen, wenn auch welligen Fotos von Sibylle als Schulmädchen mit Zuckertüte und langen Zöpfen, auf dem Fahrrad, im Kostüm einer Faschingsprinzessin, jetzt schon mit kurzen Haaren. Dann ein Taufbild mit Gerrit, ein Bild mit dem vielleicht vierjährigen Gerrit zwischen Vater und Mutter. Gerrit blickte ernst drein. Sibylle steckte in einem schwarzweißen Sommerkleid und lächelte, während Hark fest auf seinen beiden Beinen stand.
    »Papa weiß nicht, dass ich die Fotos habe«, erklärte Gerrit. »Er hat sie nämlich weggeschmissen.«
    »Sie sind nass geworden«, bemerkte Richard.
    »Das war, weil wir den Wasserschaden hatten. Da musste man dann alles rausschmeißen, was im Keller war.«
    »Deine Mutter ist wirklich eine sehr schöne Frau«, sagte Richard warm.
    »Aber sie wollte mich nicht haben.«
    »Was?«, entfuhr es mir.
    Gerrit kniff die Lippen ein und schlug sein Album in der Mitte auf, wo es sich schon die ganze Zeit öffnen wollte. Dort klebte ein zusammengefaltetes Blatt Briefpapier. Gerrit faltete es auseinander.
    »Liebste Sib«, überflog ich die per Hand geschriebenen Zeilen, »am Samstag ist es so weit. Das Wetter spielt mit, und das Schicksal wird entscheiden. Sei ruhig, für mich ist keine Gefahr dabei. Aber er wird nicht zurückkommen, wenn Gott will. Und dann sind wir endlich frei. Du machst es wie besprochen. Du bringst Gerrit zu den Schwiegereltern. Dann fährst du mit Janette weg. Wir sehen uns dann am Sonntag im Hotel. Ich liebe dich. A.«
    »Da steht es«, sagte Gerrit. »Sie wollte mich loshaben. Volker sagt, es gibt Menschenhändlerringe, die kaufen Kinder, und dann wird man von Ölscheichs oder reichen Amerikanern adoptiert.«
    Selten hatte ich Richard so verblüfft gesehen.
    Gerrit auf das Missverständnis hinzuweisen, hätte bedeutet, ihm zu erklären, dass seine Mutter einen Geliebten gehabt hatte, der hier überdies seinen Anschlag im Mordloch auf Gerrits Vater ankündigte. Aber sollte man den Jungen in dem abenteuerlichen Glauben lassen, seine Mutter hätte ihn verkaufen wollen?
    »Wo hast du denn diesen Brief her?«, fragte Richard ganz ruhig, beinahe nebenbei. »Auch gefunden?«
    Gerrit

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