Höhlenangst
nicht. Es hat ihn auch nicht interessiert, denke ich. Männer sind manchmal so feige, nicht? Und Winnie hat sich auch nicht getraut, es ihm zu sagen.« Eva lachte traurig dem Rauch hinterher, den sie ausstieß. »Ja, Sie haben Recht …« Sie schaute zu meinem Begleiter hinüber, der seine Augen auf die Zeitung zwischen seinen Füßen stielte, aber sofort aufblickte. »Es hat mehr als nur Sibylles Leben zerstört, was damals passiert ist und dass man es niemals aufgeklärt hat.«
Das hatte zwar ich gesagt, aber wenn Richard anwesend war, gestand man mir meist keine vernünftigen Äußerungen mehr zu, vor allem, wenn ich modische Knitterjeans und ein Oberteil mit hellblauen, hellgrünen und rosafarbenen Punkten trug wie jede x-beliebige Kaufhausschnuppe.
»Auch Winnies Leben hat es zerstört«, ließ ich Eva fortfahren. »Nicht nur, weil Schluss war mit den Exkursionen. Und vielleicht sogar meines. Na, zerstört vielleicht nicht. Aber man hatte plötzlich Geheimnisse vor anderen. Winnie wollte nicht, dass ich erzähle, was er gesehen hat. Vor allem Janette nicht. Obgleich die ja einen regelrechten Feldzug gegen Hark gestartet hat. Die arme. Sie war so verliebt in ihn. Dabei ist er vermutlich ganz unschuldig. Aber er hat es ja auch herausgefordert! Dass nur ja nichts auf Gerrits Mutter kommt! Das hat auch Winnie belastet. Er hat ja immer zu Hark gehalten, aber richtig verteidigen durfte er ihn nicht. Nur im Ver ein predigen konnte er, dass jeder so lange als unschuldig zu gelten hat, bis er von einem ordentlichen Gericht verurteilt worden ist. Deshalb haben sie Hark als Vorsitzenden des Vereins nicht abgewählt. Aber mancher hat auch Winnie schief angeschaut deswegen.«
»Sagen Sie mal«, meldete sich Richard, der die Lektü re der Zeitung inzwischen offenbar abgeschlossen hatte, plötzlich zu Wort, »diesen Geliebten von Sibylle Fauth, den kannten Sie?«
»Achim Haugk, ja. Aber den Namen habe ich jetzt erst aus der Zeitung erfahren. Ich habe nur seinen Vornamen gekannt. Ich habe ihn auch nur drei- oder viermal mit Sibylle zusammen gesehen, in Reutlingen. Nach Sibylles Tod hat man hier heroben zwei Jahre lang nichts mehr von ihm gehört. Aber kürzlich, vor einem halben Jahr oder vielleicht etwas mehr, ist er wieder aufgetaucht.«
»Wie aufgetaucht?«, fragte ich.
»Er soll in Münsingen eine Firma aufgemacht haben, die wo Blindgänger entschärft, Gut laufen tat sie scheint’s nicht.«
»Kann ich mir auch schwer vorstellen«, bemerkte Richard. »Wo es etwas zu entschärfen gibt, nämlich in Ostdeutschland, da sind die Reviere verteilt. Und wer wendet sich schon an eine kleine Firma in Münsingen.«
Eva stieß die halb gerauchte Zigarette in den Aschenbecher. »Winnie hat ihn dann mal in Münsingen besucht, im Sommer letztes Jahr. Ich habe ihm gesagt, er soll das lassen. Hark hätte bestimmt nicht gewollt, dass er, also mein Winnie, sich einmischt.
Viel hat mir Winnie nicht erzählt. ›Dieser Granadefurzer!‹, hat er geflucht. Scheint’s wollte Achim die Vaterschaft an Gerrit für sich beanspruchen. ›Dafür habe ich mein Gutachten nicht geschönt‹, hat Winnie gesagt, ›dass dieses Arschloch jetzt Gerrit auch noch den Vater wegnimmt.‹ Ja, denn mein Winnie hat immer an die Kinder gedacht. Immer zuerst an die Kinder.«
Eva brach unversehens in Tränen aus.
Ich rückte zu ihr aufs Sofa und legte den Arm um sie.
»Und ich dachte immer«, schluchzte sie, »Winnie und ich hätten keine Geheimnisse voreinander. Ich dachte, ich wüsste, was er tut und denkt. In die Höhlenrettung, was hat er da an Zeit und Geld investiert. Er hat immer nur an andere gedacht. Das war sein Lebensinhalt. Und dann fliegt er mit einem Transporter voller Landminen in die Luft. In Afrika sterben Kinder deswegen. Oder sie reißen ihnen die Beine weg. Ich habe mal einen Bericht im Fernsehen darüber gesehen. Wie diese Kinder lächeln, obwohl ihnen ein Bein fehlt.«
»Winnie muss ja nicht gewusst haben, was er transportierte«, sagte ich wider besseres Wissen. »Es könnte geglaubt haben, dass er Schrott fährt.«
Das tröstete auch nicht mehr. »Nichts habe ich über Winnie gewusst. Gar nichts! Vielleicht hat er diesen verdammten Achim umgebracht. Aus Freundschaft für Hark. Und verdient hätte es dieses Arschloch wohl. Aber mein Winnie ein Mörder?« Sie weinte fürchterlich. »Woher soll ich das wissen? Woher weiß ich, wozu mein Mann fähig war? Kann man das überhaupt wissen?«
Wie leichtfertig Richard und ich Winnie doch
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