Höhlenangst
Dennoch hatte er mir Achims Mordversuch als Anekdote über einen wagemutigen Draufgänger erzählt, der kein alter Höhlentaucher werden würde … und in der Tat ja auch nicht geworden war.
Konnte Hark so naiv sein? Oder war er so ausgebufft, dass er die Entschuldigung schon vorstreckte für die spätere Erklärung, er habe Achim an der Mondscheinhöhle im Kampf getötet, und zwar als postumen Nebenbuhler, der ihm per Gentest den Sohn streitig machen wollte, beispielsweise. Die Polizei würde, wenn sie im privaten Umfeld Achims ermittelte, bald auf Zeugen stoßen, die etwas über dessen Affäre mit Sibylle erzählten. Bodo hatte Recht. Der Fall Sibylle konnte neu aufgerollt werden, und diesmal mit Zeugen, die redeten. Eva zum Beispiel.
»Gerrit«, fragte ich, »wo ist dein Vater?«
Richard blickte mich missbilligend an. Er hatte bislang alles vermieden, was nach Ausfragerei hätte aussehen können.
»Weiß ich nicht«, schnurzelte Gerrit und schnappte mit der Schere in die Luft.
»Denk nach! Wo könnte er sein?«
»Er hat seine ganze Ausrüstung mitgenommen, nicht?«, erkundigte sich Richard.
»Das habe ich doch schon gesagt. Er will in den Himmel zu Mama.«
»Ich widerspreche dir ja ungern, Gerrit. Aber das glaube ich eher nicht.«
»Aber da ist doch heute das Foto in der Zeitung gewesen. Von Achim«, sage Kalle Blomquist. »Und jetzt denken wieder alle, Papa hätte ihn getötet, so wie sie alle denken, er hätte Sibylle getötet. Dabei hat er sie nur nicht festhalten können. Und seitdem möchte er auch tot sein, damit er sie im Himmel wiedersehen kann.«
Richard schaute mich bittend an. So viel Unglückslogik war auch er nicht gewachsen.
»Dann weiß ich, wo dein Vater ist«, fiel mir plötzlich ein. »Er ist zum Todsburger Schacht gefahren. Er möchte herausfinden, was wirklich passiert ist. Und damit du keine Angst hast, hat er dir das nicht gesagt.«
39
Eine halbe Stunde später hatte ich den Truppenübungsplatz hinter mir gelassen und befand mich auf dem Weg nach Wiesensteig und Mühlhausen.
Richards Navigator legte mir nahe, dem Schild Richtung Eselshöfe zu folgen. Das Sträßchen führte über die Autobahnfahrspur Richtung München hinweg auf den Berg hinauf. Wenn ich gehofft hatte, in dem Fünfhäuserdorf auf der Bergkuppe ein Hinweisschild zum Todsburger Schacht zu finden, sah ich mich getäuscht. Ich musste Richards Bonzenschlitten anhalten und aussteigen, um einen Bauern zu fragen.
»Da nonder«, winkte er mir zu. »Dann rechts in den Wald. Aber die Höhle isch zu.«
Ich fuhr wie geheißen und parkte an einem Waldweg mit Reifenspuren. Harks Cherokee stand zwanzig Meter weiter unter den Buchen an einem Holzstapel.
Nach wenigen Metern kragte links im Hang ein Felsen aus dem Wald. Dort wahrscheinlich. Höhleneingänge lagen gern an Felsfüßen. Der Geröllweg hinab über Wurzeln ähnelte eher einer Rutsche. Ein gemauerter Pfad führte unten um den Felsen herum an ein Loch, das mit einem Eisengitter verschlossen war. Daneben war ein Messingschild angebracht. Um es zu lesen, musste ich in die Hocke.
Lieber Besucher. Das Naturdenkmal »Todsburger Höhlen« bleibt zum Schutz vor Beschädigungen ganzjährig geschlossen. Begehungen sind im Einzelfall vom 16. Ap ril bis 14. November möglich. Der Schlüssel für das Tor kann beim Bürgermeisteramt Mühlhausen, Gosbacher Straße 16, oder beim Wirtshaus »Zum Eseleck«, Gosbacher Straße 15, oder beim Staatlichen Forstamt Weilheim/Teck, Forststraße 9, entliehen werden.
Amtsdeutsch in Messing verewigt. Der Plural »Todsburger Höhlen« machte Hoffnung auf eine zweite Höhle. Zum Beispiel den Todsburger Schacht. Ich krabbelte auf allen vieren die Rutsche wieder hinauf. Der Pfad, den ich gekommen war, winkelte sich nach der anderen Seite zwischen Bäumen über Wurzeln den Berggrat entlang. Links unten das Getose der Autobahn. Hin und wieder sah man zwischen den Stämmen und jungem Grün die Dächer von Lastwagen den Anstieg hinaufkriechen. Ich wollte schon aufgeben, da sah ich etwas Rotblaues.
Ein Mann in Wetterjacke kniete über einem viereckig einbetonierten Loch im Boden und streckte eben die Hand aus. Ich sprintete los, packte ihn am Arm und riss ihn zurück. »Stopp, Hark!«
»Lisa!«
»Verdammt, was hast du vor?«
»Ich wollte den Deckel schließen.« Es war ein massives Eisengitter, das man in einen Rahmen über dem Höhlenmund zurückschieben musste. »Und du? Übrigens kannst du mich ruhig loslassen.«
Ich ließ ihn
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