Höhlenangst
vorhin zu Haugks Mörder erklärt hatten! Einfach nur, um einen zu haben. Eine Antwort auf eine offene Frage.
38
Richard sah ziemlich gemangelt aus, als wir eine Stunde später zum Auto wankten. Ich vermutlich auch, aber mich musste ich ja nicht anschauen.
»Mir reicht’s«, erklärte ich mit Verve, als Richard den Wagen in die grünen Falten des Albtraufs hineinsteuerte. »Holen wir deine Sachen bei Hildegard und dann zurück in den sauberen Großstadtdschungel.«
»Und Gerrit?«, fragte Richard. »Was ist mit dem?«
»Ach ja, richtig. Gerrit allein zu Haus. Soll Janette sich darum kümmern.«
»Na, wenn sie Hark so verurteilt hat wie mich in ihrem Artikel, dann sollte man ihr dieses Kind nicht überlassen.«
»Aber ich will gar nicht wissen, wie Harks Frau zu Tode kam, Richard. Und dieser Achim Haugk war offensichtlich ein Arschloch. Wo er liegt, liegt er gut. Außerdem muss ich mich nicht mehr um herrenlose Leichen kümmern, nur damit sie mich beim Stuttgarter Anzeiger durchfüttern. Das ist vorbei, Richard. Dir hat das ja ohnehin nie gefallen.«
Er langte über die Konsole nach meiner Hand. »Lisa!« Sein Schiff schlingerte kurz. »Nun tritt nicht gleich alles in die Tonne, nur weil du mal eine Ohrfeige einstecken musstest. Das macht nicht alles schlecht, was du tust. Und ob es mir gefällt, hat doch für dich nie eine Rolle gespielt.«
»Weißt du eigentlich«, sagte ich, »dass deine Freundin Hildegard mir dringend empfohlen hat, ernsthaft über mich nachzudenken?«
Richard schmunzelte und legte wegen einer Kurve wieder beide Hände ans Steuer. »Das ist natürlich eine schwerwiegende Beleidigung. Wobei noch zu klären bleibt, ob sie deine intellektuellen Fähigkeiten dabei unterschätzt oder überschätzt hat.«
»Blödmann! Warum kannst du mir eigentlich nicht sagen, was dich für zehn Tage in ihre Arme getrieben hat?«
»Ich musste nachdenken, Lisa.«
»Und worüber?«
Wir rollten über die Hochebene mit ihren Karstkuppen und Waldkronen. Meine verschnurzelte Seele weitete sich. Auf widersinnige Weise war ich froh, aus der Stadt heraus zu sein.
»Das ist nicht so einfach zu erklären«, sagte Richard. »Ich will mal so sagen …«
Da klingelte erneut mein Handy. Es war Janette.
»Lisa, wo bist du?«
»Was gibt’s?«
»Hat Bodo dich erreicht? Ich habe eben noch mal bei ihm angerufen. Er sagt, Hark sei verschwunden. Und ich sitze hier in der Redaktion fest. Die haben deinen Staatsanwalt heute wieder freigelassen. Offenbar ein Justizirrtum. Das war ja ein ziemlicher Scheiß, den du mir da erzählt hast, Lisa. Schwunghafter Handel mit Landminen aus Münsingen und so. Jetzt sieht es so aus, als habe Winnie alleine gehandelt. Er hat scheint’s eine Sicherheitslücke genutzt und ein paar Kisten Landminen mitgehen lassen, wenn er in Münsingen Schrott abholte. Die hat er dann an ein paar Somalier verscherbelt.«
»Janette, worum geht’s?«
»Ich glaube, Lisa, wir sollten miteinander reden. Hättest du heute Abend Zeit? Florian hat seinen Kinoabend, und Laura übernachtet bei einer Freundin.«
»Hm. Mal sehen. Ich bin gerade auf dem Weg zu Ger rit. Ich melde mich, ja?«
Richard kurvte schon durchs vertraute Steinhilben in das von Butterblumen gelbe Tal, an dessen Ende die Fenster des Rabenhauses glitzerten. Der Hof lag still und verlassen.
»Du kommst doch mit rein, Richard?«, vergewisserte ich mich. »Diese Kinder sind mir fremd. Sie spielen eine Stunde lang Ermorden und wälzen sich röchelnd in der Wiese.«
»Das ist ihre Art, die Ereignisse zu verarbeiten.«
Ich klopfte an die Haustür, erhielt keine Antwort und klinkte die Tür auf. »Gerrit?«
Der Junge kam die Treppe herab. Schmal und dunkel.
»Hallo, Gerrit«, sagte Richard. »Wo ist denn Graf Hu ckebein?«
»Bei mir oben.«
»Und dein Vater?«, fragte ich.
»Der kommt nicht wieder.« Damit drehte er sich um und stieg die Stufen wieder hinauf.
Ich wäre ihm sofort gefolgt, aber Richard hielt mich zurück. »Dürfen wir auch hochkommen?«, fragte er.
Gerrit drehte sich oben wieder um. »Meinetwegen.«
Der Rabe döste in einem unaufgeräumten Bubenzimmer auf dem Schrank. »Onk!«, gluckste er. Es war ein Dachzimmer mit einer Dachgaube, deren Fenster offen stand. Ein Bett, Plakate von Jurassic Park, im Regal Plastikdinosaurier. Halb unter die Dachgaube geschoben stand ein Kinderschreibtisch, auf dem sich Holzstücke, Hefte, Klebstoff, Schere, ein Eichelhäherflügel und ein Modellflugzeug aus Holz den Platz streitig
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