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Höhlenangst

Höhlenangst

Titel: Höhlenangst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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Ornithologen. Das alles in die Hand eines Unternehmers zu legen, war so gut wie eine Privatisierung.
    Ich gab Druckbefehl.
    Eine womöglich tatsächlich erfolgte EU-weite Ausschreibung fand ich nicht. Ganz offensichtlich suchte die Natra nicht mehr Öffentlichkeit als unbedingt nötig.
    Ein Besuch in dieser Firma war wohl unumgänglich. Ich durchforschte mein persönliches und das elektronische Gedächtnis nach Dingen, die der Journalist mal irgendwo gelesen hat, aber nie in seinem Leben braucht. Die chaotische Finanzgesetzgebung der letz ten drei Jahre gebar den schönen Begriff »Umsatzsteu ernachschau«.
    Dann ging ich Janette stören. Sie klemmte kurzsichtig zwischen Bügelbrett, Staubsauger, Eimern und Kehrschaufeln an einem Tischchen in einer Kammer vor ihrem Laptop und tippte. Das Fenster stand offen. Im Aschenbecher krümmten sich drei Zigarettenkippen.
    »Weißt du«, sagte sie, »was ich mir gerade überlege?«
    »Was?«
    »Es sind ja eigentlich zwei Geschichten. Einmal eine über dumme Jungs, die die Gefahren einer Höhle unterschätzen …«
    »Mach mich nicht zur Heldin, Janette!«
    »Habe ich auch nicht vor, Lisa!« Sie feixte, zupfte an einer Zigarette und stieß sie wieder in die Schachtel zurück. »Die zweite Geschichte handelt von der Bergung einer Leiche, die nicht vorhanden ist. War das nun ein Fehlalarm, oder ist es ein mysteriöser Mordfall?«
    »Mord ist es immer dann, wenn man jemandem nachweisen kann, dass er geplant hat, den Menschen umzubringen. Sonst ist es Totschlag.«
    Janette schnaubte. »Das ist nicht der Punkt, Lisa! Ich könnte einen langen Artikel über eine verschwundene Leiche schreiben oder einen Achtzeiler über einen Einsatz der Uracher Spinnen, der ergebnislos verlief. Und ich frage mich, was den Täter eher nervös machen würde.«
    »Du willst den Täter nervös machen? Das ist aber nicht primär die Aufgabe des Journalisten, Janette.«
    Sie drehte sich zu mir um und maß mich von unten nach oben. »Deine Arroganz habe ich noch nie leiden können, Lisa!«
    »Höre ich da eine leichte Kritik an meiner Wesensart heraus?«
    »Weißt du, wie du mir vorkommst, Lisa? Du kommst mir vor wie ein kleiner Junge, der rülpst und rüpelt, um die Erwachsenen zu provozieren. Und der immer seine kleine Schwester an den Zöpfen zieht, denn dann weiß er wenigstens, warum ihn niemand lieb hat, seine kleine Schwester aber jeder. Aber so warst du schon immer.«
    »Jaha, auf dem Dorf, da gibt es kein Pardon«, sagte ich. »Da kann einer Massenmörder werden, und die Nachbarn erinnern sich, was für ein liebes Kind er war. Und da kann ich gesittet säuseln, und du erinnerst dich daran, wie wegen mir nach dem Schwimmunterricht einmal die ganze Mädchenumkleide gekreischt hat, weil ich allen an die Titten gelangt habe, übrigens nur dir nicht.«
    »Daran erinnere ich mich beispielsweise nicht!«
    »Denn eigentlich hatte ich natürlich dir an die Titten gehen wollen, Janette! Aber du hast damals schon so streng auf mich Qualle herabgeblickt. Also bin ich halt infantil geblieben.«
    »Und jetzt mir die Schuld zuschieben! Das könnte dir so passen!« Der Hauch eines Lächelns huschte über Janettes volle Lippen.
    Ich fasste das hübsche Kinn. Aber bevor das Vögelchen aus dem Totstellreflex erwachte und flatterte, ließ ich los und zog mich zurück.
    In der Küche stand Florian, über die Schüssel mit den gewässerten Linsen gebeugt. Auf dem Tisch hatte er Saitenwürste, Bauchspeck, Lauch, Möhren, Zwiebeln, Sellerie, Salz, Pfeffer, Rotweinessig, Nelken, Lorbeerblätter und Butter aufgebaut. Ich schaute mich verstohlen nach der Fernsehkamera um.
    »Kochen«, erklärte er, »ist ein Weg zurück zu den natürlichen Grundlagen des Lebens. Deshalb verwenden wir nur einheimische Produkte.«
    »Ich wusste gar nicht, dass man auf der Alb Linsen anbaut!«
    »Inzwischen wieder, und zwar in Meidelstetten.«
    Woraus ich schloss, dass dieser Ort die Eigenschaft der Nähe besaß, welche die Bezeichnung regional noch zuließ.
    »Linsen hat es immer gegeben auf der Alb. Sie mögen nährstoffarme Böden. Allerdings sind sie empfindlich gegen Nässe und Kälte, weshalb der Ertrag schwankt. Außerdem stecken in jeder Schote immer nur zwei Linsen. Und wer macht sich in Deutschland heut noch so viel Gschäft.«
    »Aber die Spätzle, die schabst du nicht selbst.« Ich deutete auf die Ware in der Klarsichttüte.
    Musste er nicht, denn diese Spätzle waren von Alb Gold, und das war nicht nur die Nudelfabrik von

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