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Höhlenangst

Höhlenangst

Titel: Höhlenangst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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Früher habe ich mich mehr mit nicht ausgestorbenen Tieren beschäftigt. Und wenn ein Vergnügungspark einen Bären braucht, dann machen Gerrit und ich das immer noch zusammen.«
    Gerrit hatte sich inzwischen vertrauensvoll unter die Fittiche des Archäopteryx verkrümelt.
    »Aber mein Geld verdiene ich damit, Saurier zu rekonstruieren oder Modelle für Naturkundemuseen zu bauen. Der Archäopteryx, das ist allerdings mein Privatvergnügen.«
    Vergnügt klang er nicht.
    »Hark, warum bist du gestern Abend so plötzlich verschwunden?«
    Der Mann blickte zu seinem Sohn hinüber und senkte die Stimme. »Wofür hätte ich mir wohl gratulieren lassen sollen? Dafür, dass ich Julian nicht bergen konnte?«
    »Und warum –«
    »Übrigens wäre ich dir dankbar, wenn du mich und meinen Sohn künftig in Ruhe lassen würdest. Hier gibt es nichts, was die Presse etwas anginge. Absolut nichts!«
    »Ich bin nicht die Presse. Ich wollte dir nur die Tasche mit deiner Ausrüstung bringen.«
    »Dann danke schön!«
    »Ich vermute, du hast noch mehr Seile und –«
    »Ich wüsste nicht, was dich das angeht!« Seine wolkengrauen Augen zuckten von mir fort zum Fenster. In dem Moment, wo ich Federn rascheln hörte, landete Graf Huckenbein auch schon auf meiner Schulter.
    »Hilfe!«
    Gerrit lachte.
    Der Rabe atmete hörbar und knispelte knackend und schmatzend an meinem Ohr. Mir brach der Schweiß aus.
    »Er will nur spielen!«, sagte Hark. Sogar lachen konn te er. Freundlicherweise zögerte er nicht allzu lange, seine kräftigen Hände an muskulösen, blond behaarten Unterarmen auszustrecken und die reichlich ein Kilo blau schillernde Spielwut in Bussardgröße von meiner Schulter zu heben. Auf Harks Hand sträubte Graf Huckebein sein zottiges Kehlgefieder und linste mir gierig in die Augen. »Krärrr!«
    »Das hat er noch nie gemacht«, behauptete sein Herr mit rauer Zärtlichkeit in der Stimme. »Eigentlich schätzt er Fremde nicht.«
    Guter Witz!
     

9
     
    Brontë rettete mich in die Altstadt von Trochtelfingen. Leer war kein Ausdruck. Es herrschte Vakuum kurz vor der Implosion. Ein Kindergefühl von Freiheit und Trauer stellte sich ein, das Gefühl, in meinem Dorf als Einzige überlebt zu haben zwischen Bushaltestelle, Rathaus, Kriegerdenkmal und Kirche. Eine Täuschung, alles Plüsch, denn man war nie allein. Alle Fenster hatten Augen.
    Ich hielt, parkte, stieg aus und ging ins Café Hannen wo ein paar Überlebende Tortenstücke verspeisten. Kei ner unter fünfzig.
    »Die Straß nonder, hinterm Wehrturm. A Holzhäusle, net zu übersehe!«, beschied mir die Verkäuferin, unter dreißig.
    Holzhäusle? Ach was! Es war ein von Rosen umschlungenes Holzschlösschen mit geschnitzten Fensterstürzen. In der Einfriedung waren wagenradgroße Ammoniten vermauert, im Garten blühte und tropfte alles, was der Frühling hergab. Den Weg zur Haustür säumten knorrige Wurzeln und löchrige Kalksteine.
     
    Hinter den Fensterscheiben hingen Klöppelgardinen, über der Klingel war ein getöpfertes Namensschild angebracht.
    »Oh, ah!«, stammelte Bodo Schreckle, erfolglos bemüht, seine unbändige Freude zu verbergen. »Das ging aber schnell. Bitte einzutreten in meine bescheidene Hüt te. Fühlen Sie sich ganz wie zu Hause.« Er trug ockerfarbe ne und kleinteilig gemusterte Nachkriegsware und Hauspantoffeln. »Was darf ich Ihnen anbieten? Kaffee, Tee, Kakao … äh …«
    »Aber nur, wenn ich nicht störe!«
    »Wobei sollten Sie einen alten Mann stören? Meine CDs kann ich zu jeder beliebigen Zeit hören. Wenn Sie fünf Minuten haben, dann gehe ich schnell zu Hanner und hole Kuchen. Obstkuchen oder Cremetorte?« Er griff nach Hut und Jacke, die neben einem Stock einsam an der Garderobe hingen.
    »Es gießt!«, gab ich zu bedenken. Doch irgendetwas musste ich ordern, wenn ich seine Flucht in den Kuchen stoppen wollte. »Aber ein Kaffee, das wäre sehr schön. Bei Florian und Janette gibt es immer nur Tee.«
    »Ihr Wunsch ist mir Befehl.«
    Der Weg zur Küche war gespickt mit Möbeln, auf denen Reisebeute stand, Südseemuscheln, Treibholz, Vasen mit fremdländischen Disteln, Dorngezweig und Trockenblumen. An den Wänden hingen Fotos blauer Buchten, steiler Felsen, toter Tintenfische über einer Leine, Gischt in einer Grotte. Mittendrin immer wieder eine drahtige Frau in Kniebundhosen, Wanderstiefeln und karierten Hemden. Fast immer lachte sie, und selbst wenn sie nur lächelte, entfachte sie Heiterkeit in meiner Seele.
    »Eigentlich hatte ich gar nicht

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