Höhlenangst
damit gerechnet, Sie zu Hause anzutreffen«, konversierte ich, während Bodo Schreckle die Kaffeemaschine befüllte. »Sie sind viel unterwegs.«
»Das hält rüstig. Oder fit, wie man heute sagt.« Seine Hand zitterte leicht. »Und es kostet kein Geld.«
Die Tassen klapperten auf den Untertassen, als er sie hinüber in ein Wohnzimmer trug, das mir die Sprache verschlug. Ammoniten, überall Ammoniten! Kleine, große, schwarze, weiße, gelbliche, welche mit vielen Spiralen, welche mit nur einer, grob gerippte und fein gerippte, welche, die aussahen wie glasiert, andere rau und rissig.
Schreckle stellte die Tassen hin, griff sich in die Hosentasche und ließ ein weißes Steinchen in meine Hand gleiten.
»Sieht aus wie eine Muschel«, bemerkte ich. Es ribbel te unter dem Daumennagel.
»Es ist eine versteinerte Muschel«, sagte er. »Ich habe sie auf dem Weg gefunden, gleich nachdem Sie mich vorhin am Holzstoß abgesetzt hatten. Die Alb ist ein einziges Fossilienmuseum. Unsere Höhlen verdanken wir der Zeit, als das Jurameer vor etwa hundertfünfzig Millionen Jahren austrocknete und das Wasser unterirdisch ablief. Sobald Sie irgendwo ein Haus bauen, stoßen Sie auf Malm, die oberste und jüngste Sedimentschicht, der Weiße Jura, und auf versteinertes Meeresgetier, Fische, Korallen, Ammoniten, Muscheln. Nein, behalten Sie sie. Ich habe genug davon. Renate und ich – Renate, so hieß meine Frau – sind auf jeder Baustelle gewesen, und je mehr Ammoniten wir fanden, desto fieberhafter haben wir gesucht. Bitte setzen Sie sich doch.«
Renates Foto stand an prominenter Stelle in einem Fach der Eichenschrankwand. Ihr rabenschwarzes Kurzhaar vom Flur war mittlerweile grau meliert. Die dunklen Augen sprühten immer noch, vielleicht sogar noch mehr.
»Sie ist vor zehn Jahren an Krebs gestorben.«
»Oh, das tut mir Leid.« Wie hatte er nur die Trockenblumen im Korridor so lange konservieren können?
»Und Sie?«, fragte er, nachdem auch er in einem der ausladenden Sitzmöbel aus metallisch grünem Samt mit Bommeln und Troddeln an den Lehnen und unteren Kan ten saß. »Was ist mit Ihnen? Liebeskummer, hm?«
»Was? Nein! Wie kommen Sie denn darauf?«
»Ach, Sie sehen traurig und verwirrt aus. Aber ich wollte nicht indiskret sein.«
»Doch, genau das wollen Sie!«
Er versenkte ein Lächeln unter seiner Hakennase und schenkte Kaffee aus. »Wissen Sie, ich bin ein guter Zuhörer. Milch? Zucker? Das ist der Vorteil des Alters. Man hat selber schon so viel dummes Zeug gesagt, dass man lieber anderen zuhört.«
»Und die sagen dann dieselben Dummheiten.«
Bodo der Schreckliche lachte. »Für einen Dorfschullehrer ist es durchaus ein Abenteuer, die berühmte Lisa Nerz zu Gast zu haben.«
»Bitte?«
»Ich lese Zeitungen, Frau Nerz. Das waren doch Sie, die seinerzeit in Vingen den Sohn des Saftfabrikanten und Gestütsbesitzers Gallion geheiratet hat? Und dann der Unfall, der gar kein Unfall war, sondern Mord, wie Sie später herausgefunden haben. Ihr Mann starb dabei und Sie überlebten schwer verletzt. Wenn ich auch betonen will, dass die Narben Ihrem Gesicht eine ungemein interessante Note geben und keineswegs so ins Auge fallen, wie Sie das vermutlich bei dem überkritischen Blick in den Spiegel finden, den Frauen nun mal an sich haben.«
Ich musste lachen und schlürfte mit stiller Seele den heißen Kaffee.
»Und gab es da nicht auch eine ziemlich tödliche Geschichte mit der Chefin einer feministischen Zeitung? Ach ja, und der Kultusminister, der musste wegen Ihnen zurücktreten.«
Ich schnurrte innerlich. Man musste vielleicht ein bisschen suchen gehen nach der eigenen Berühmtheit, aber hier und da wurde man doch fündig in den Nestern auf der Alb.
»Und wie kann ich Ihnen nun helfen?«, fragte er.
Ich erwachte nur halb aus meiner Eitelkeit. »Es geht um den Truppenübungsplatz Münsingen.«
Schreckle zog die Augenbrauen hoch.
»Was dachten Sie denn?«, fragte ich.
»Ich dachte, Sie wollen von mir etwas über Hark Fauth wissen.«
»Wieso über den?«
»Weil seine Frau unter ungeklärten Umständen ums Leben gekommen ist. Das ging damals ziemlich durch die Presse.«
Ich lachte gemütlich. Mehr von mir zu geben, hätte das Risiko bedeutet, dass Bodo Schreckle sich tatsächlich in einen guten Zuhörer verwandelte.
»Ein verschlossener Mensch, unser Hark. Raue Schale, weicher Kern. Das Höhlenkrokodil. Aber seit seinem Unfall war er in keiner Höhle mehr, soviel ich weiß. Sein Vater ist Förster in
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