Höhlenangst
verspritzte derweil Putzmilch auf der Cerankochfläche und überlegte, wie ich die Scheidung abwenden konnte. »Sag mal, Janette. Du kanntest doch Sibylle ganz gut, oder?«
Ihr entsprang der Topfdeckel, prallte von der Kante der Spülmaschinenklappe ab und schepperte über den Boden. »Ganz gut?« Sie lachte auf. »Sibylle war meine … meine beste Freundin seit … Ach, seit immer schon.«
Ich vernahm es mit einem Stich von Eifersucht. Bevor Janette nach Reutlingen gezogen war, war ich ihre beste Freundin gewesen.
»Du hast sie doch auch kennen gelernt«, sagte Janette. »Als du mich in Reutlingen besucht hast. Das eine Mal, wo du dich aufraffen konntest.«
»So eine Dunkle?«, fragte ich und nahm den Daumennagel, um einen Fleck vom Ceranfeld zu kratzen. »Die törichte Jungfrau mit großen schwarzen Augen und gebärfreudigen Hüften?«
»Sibylle war eine Schönheit, Lisa! Und von einer natürlichen Eleganz, wie ich sie nie wieder gesehen habe!«
Außerdem war sie zweimal sitzen geblieben und damit zwei Jahre älter gewesen als Janette. Entscheidende zwei Jahre in einem Alter, in dem wir unsere Eltern um Mopeds anbettelten. Denn Sibylle hatte den Führerschein und von Papa ein Auto, mit dem man auf Diskotour gehen konnte. So hatten sie sich zusammengefunden, die ehrgeizige Janette und die reiche und schöne Sibylle. Während ich auf dem Realgymnasium verkümmerte, ließ Janette Sibylle abschreiben und fuhr mit ihr am Wochenende nach Stuttgart. Auf den Fahrten träumten sie von Pa ris und London. Janette sah sich als Auslandskorrespondentin mit dem Mikro in der Hand, und Sibylle wollte als Modedesignerin die Mädels auf den Laufsteg schicken. Da war ich längst dazu verurteilt, Sekretärin zu lernen.
Die Liebe machte Sibylle einen Strich durch die Rechnung, die niemals aufgegangen wäre. Sie verliebte sich in einen durchtrainierten Förstersohn aus Laichingen mit regenwolkengrauen Augen, kräftigem Kinn und aufreizender Ruhe in lockeren Gliedern.
»Ich war damals auf der Journalistenschule in München«, sagte Janette. Als ob sie es hätte verhindern müssen.
Hark kam gerade aus Mexiko und konnte viel erzählen von einem Monster von Aramberri, dessen Skelettteile man Mitte der achtziger Jahre versteinert gefunden hatte. Wenn man es ganz ausgrub, schwärmte Hark, müsse es achtzehn Meter lang sein, das größte Raubtier, das jemals gefunden worden war. Ein Meeresreptil, hundertfünfzig Millionen Jahre alt und als Jungtier totgebissen von ei nem noch größeren Raubtier. Pliosaurier nannte sich die se Gattung, welche eine Untergattung des Plesiosauriers war. Auch bekannt als das Monster von Loch Ness.
Die Tochter des reichsten Holzbauern von der Hohenzollern Alb fand Paläontologie auf einmal ungemein aufregend. Dazu mochten auch die zitternden Pfützen in Spielbergs Jurassic Park beigetragen haben. Sibylle nutz te unbefangen das Vorrecht der Jugend und die Abwesenheit ihrer besten Freundin, sich nicht klar zu machen, dass ihr Konzept von der großen weiten Welt nicht mit Harks Lebensentwurf übereinstimmte. Wüsten, Höhlen und Fossilien befanden sich überall auf der Welt immer fern der großen Städte, und Sibylle hoffte auf Buenos Aires, New York, Marseille oder Monaco.
Nach drei Jahren Ehe hätte sie aber auch hin und wie der den Stachus, die Zeil oder den Kudamm gelten lassen als Entschädigung für ihre Existenz als Hausfrau und Mutter im Haus der Schwiegereltern in einer uneleganten Stadtrandsiedlung von Laichingen auf der Alb. Doch Hark war das Höhlenkrokodil und ging keine Kompromisse ein. Entweder er kroch durch die Geburtsgänge der Erde oder er baute in den Naturkundemuseen des Landes den Sä belzahntiger und Tyrannosaurus nach oder er war in Vorträgen unterwegs auf Sponsorensuche. Von seiner Mission überzeugter als ein Prediger.
»Wenn Sibylle in der Küche versteinert wäre«, witzel te Janette, »dann hätte Hark sich vermutlich zu Hause aufgehalten und sie rekonstruiert.«
Sie stand inzwischen am Fenster, den Unterarm über die Hüfte gequert, in der anderen Hand die Zigarette, und stippte die Asche hinaus aufs Fensterbrett. Es zischte, denn im Aschenbecher stand das Regenwasser.
»Und dann ist etwas ganz Blödes passiert. Hark und ich, wir haben uns ineinander verliebt.«
Ich griff nach dem Scheuerschwamm und begann in der Spüle herumzufuhrwerken. Bei Küchengesprächen äußert frau an diesem Punkt nur gelinde Überraschung und keinerlei moralische Bedenken.
»Es war nach einem
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