Höhlenangst
Schwerpunktstaatsanwaltschaft für Wirtschaftsstrafsachen beim Landgericht Stuttgart fällt, die du leitest.«
»Und wie«, erkundigte sich Richard sanft, »erhalten wir Kenntnis von diesem Sachverhalt?«
»Schick doch einen Buchprüfer vom Finanzamt vor bei, einen echten!«
»Es ist immer wieder verblüffend«, sagte Richard, »wie gering das Rechtsverständnis allgemein ausgeprägt ist. Das Finanzamt ist keine der Staatsanwaltschaft untergeordnete Behörde.«
»Ja schon, aber man spricht doch miteinander.«
»Nein, Lisa. Noch nie was vom Nemo-tenetur-Grundsatz gehört?«
»Ich hatte kein Latein«, sagte ich verschnupft.
»Nemo tenetur se ipsum accusare. Niemand muss sich selbst beschuldigen.«
»Ach das, ja klar.«
Richard schenkte mir eines seiner Lächeln, die umso verschwenderischer ausfielen, je mehr er dabei sein Sparbuch der Überlegenheit plündern konnte. »Nein, ich glaube nicht, Lisa, dass dir klar ist, was das beispielswei se für deine Steuererklärung bedeutet.«
»Verdammt, die muss ich auch noch machen!«
»Dann würde ich dir dringend raten, auch die Bestechungssummen anzugeben.«
Mir ging ein Licht auf.
»Die Gefahr, dass ich dir dann auf die Pelle rücke, besteht nämlich nicht. Und das hängt damit zusammen, dass Finanzamt und Staatsanwaltschaft nach zwei verschiedenen Rechtsgrundsätzen arbeiten. Dem Finanzamt gegenüber bist du zur Wahrheit verpflichtet. Du musst jegliches zu versteuernde Einkommen angeben. Nun ist Bestechlichkeit in Deutschland aber strafbar. Du würdest dich also selbst beschuldigen. Und genau darum darf der Finanzbeamte nichts an mich weitergeben. Tut er das doch, darf ich es nicht strafrechtlich verwerten.«
»Hauptsache, der Staat kriegt sein Geld, was!«
»Genau. Die Aufgabe des Finanzamts ist es, Geld einzutreiben. Daraus resultiert für den Bürger die Pflicht, die Wahrheit zu sagen. Wer das Finanzamt anlügt, wird bestraft. Den Strafverfolgungsbehörden hingegen ist niemand zur Wahrheit verpflichtet, wenn er sich selbst einer strafbaren Handlung beschuldigen würde.«
»Na gut. Aber ich bin nicht vom Finanzamt. Was du von mir weißt, kannst du strafrechtlich verwerten.«
»Informationen aus einem Akt der Amtsanmaßung?«
»Dann leite ein Strafverfahren gegen mich ein, und ich werde vor Gericht aussagen. Dann recherchieren wenigstens die Journalisten!«
»Es würde keine Verhandlung geben, bei der du aussagst. Du bekommst einen richterlichen Strafbefehl. Davon erfährt die Presse nichts. Du könntest natürlich auf einer mündlichen Verhandlung bestehen, aber zu der würde die Presse vermutlich nicht eben zahlreich erscheinen, um nicht zu sagen: gar nicht.«
»Himmel! Dann sollen die Schorstels und Räffles halt mauscheln, dass Laichos Hüle qualmt. Ich wollte sowieso nur wissen, wo du steckst.«
Richard zog die Brauen hoch. »In Schorstels Buchhaltung?«
»Aus irgendeinem Grund, den ich jetzt nicht mehr nachvollziehen kann, hatte ich sogar die Befürchtung, du stecktest ermordet in der Mondscheinhöhle.« Meine Stimme kippelte.
»Ich?« Richards Blick schmolz. »Aber, Lisa, du weißt doch, einen Staatsanwalt bringt man nicht um. Erstens erfährt er immer zuletzt von einem Verbrechen und zweitens ist er austauschbar.«
»Hoffentlich wissen das auch deine künftigen Mörder«, stotterte ich. »Aber wie gesagt, ich weiß selbst nicht mehr, was in mich gefahren ist. Wenn du meine SMS gelesen hättest …«
»Mein Handy ist mir … mir verlustig gegangen.«
»Wie?«
Er nahm die Kaffeetasse. »Ich habe es verloren, Lisa. Was ist das für eine Geschichte mit diesem Toten in der … wie heißt die Höhle?«
»Mondscheinhöhle. Komisch an der Sache ist das schwarze Seil der Bundeswehr und dass die Leiche verschwunden war, als man sie zwölf Stunden nach der Entdeckung bergen wollte.«
Abrupt stellte Richard die Tasse ab.
»Ja?«, lockte ich.
Ekel schimmelte um seine Nase. »Verdammt, ich bin Wirtschaftsstaatsanwalt geworden, weil wir nichts mit Leichen zu tun haben! Geld zieht keine Würmer an und stinkt nicht, wenn es verwest.«
»Nun red schon. Wer, glaubst du, ist der Tote?«, drän gelte ich.
»Vermutlich nur eine irrelevante Gedankenverbindung. Aber Schorstel hat mir gerade vorhin erzählt, dass man einen Sprengmittelingenieur vermisst. Und der ist sehr wichtig, denn Ivan Räffle bekommt den Großauftrag nur, weil er die Litauer mit einem integrierten Konzept für eine Kampfmittelbeseitigung schlagen konnte.«
»Sieh an, du hast ja doch
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