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Höhlenangst

Höhlenangst

Titel: Höhlenangst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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wärmeren Höhlenluft ausfällt und sich auf den Steinen ablagert.«
    Er redete, als ob er gar nicht vorhätte, so weit zu kommen.
    »Dann gehen wir mal weiter«, sagte Janette.
    Der Betonpfad winkelte sich durch die Karlshöhle mit ihrem gerupften Tropfsteinwald. Oben filigrane Nadeln, die wie Sägezähne aus den Schrunden sinterten. Gerrit trödelte weiter vorn hinter Laura her und ließ die Hand über die glänzend nasse Oberfläche einer erstarrten Kaskade gleiten, die unzüchtig aus einer Spalte in der Wand quoll. Als Gerrit plötzlich loslief, um zu den anderen aufzuschließen, die schon etliche Ecken weiter waren, drehte ich mich nach Hark um.
    »Ich bin noch da«, sagte er. Aber etwas knotete in seiner Stimme. Plötzlich streckte er die Hand aus, griff mir in den Kragen und zog die eingeknickte Ecke glatt. »Aber, Lisa, ich bin tatsächlich drauf und dran, den Kopf zu verlieren.«
    »Sollen wir umkehren?«
    Er lachte leise. »Nein, das meine ich nicht, du besorgte kleine Fee.« Er zog mich mit der Hand an meinem Kragen ein Stück zu sich. Aber galt das wirklich mir? Ein Mann, der sich unterlegen fühlt, startet immer eine erotische Attacke, oder eine sexuelle, falls Ihnen das Wort Erotik in Bezug auf mich unangebracht erscheint. »Ich meine, ich kann endlich wieder …«
    Janettes »Kommt ihr?« hallte durch die Höhle. Sie kam den Betonweg zurück. »Oder gibt es Probleme?«
    Hark ließ mich los.
    »Nein, nein«, stotterte ich. »Mein … mein Reißverschluss hatte sich nur … äh … verhakt.«
    »Ich frage ja nur, ehe wir den Kinderwagen die Treppe hochwuchten.«
    »Braucht ihr Hilfe?«
    Ich ließ den verflixten Hark stehen und knirschte Janette hinterher. Aber die Männer waren schon dabei, den Kinderwagen die Treppe hinaufzutragen. Als ich um den letzten Stalagmit bog, merkte ich, dass Hark nicht mehr hinter mir war. Sapperlot! Ich kehrte blitzartig um.
    Er taumelte schon seitwärts in den Tropfsteinrasen. Ich konnte ihn gerade noch am Ärmel packen, ehe er in den Naturschutz fiel. Er krallte sich ohne Ansehen meiner Anatomie an mir fest. Ich musste einen kleinen Judogriff ansetzen, um seine Hand von meiner Brust zu lösen. Der Schmerz brachte ihn halbwegs zur Besinnung.
    »Hier ist der Weg, Hark.«
    Er keuchte.
    »Rückwärts zählen!«, ordnete ich an. »Zähl rückwärts. Los, hundert, neunundneunzig … Zähl mit! Achtundneunzig, siebenund…«
    »… neunzig«, murmelte er.
    »Und jetzt schau mich an, Hark!«
    »Ich muss … ich muss hier raus!«
    Ich hielt ihn fest. Ein explosives Bündel steinharter Muskeln, die sämtlich zitterten. »Ganz ruhig, Hark! Steinschlag ist eine reale Gefahr, aber dass die ganze Höhle einstürzt, ist irreal. Und zurück kannst du jetzt nicht.«
    Denn eben quoll eine Besuchergruppe in Busladungsstärke den Weg vom Eingang heran, Fußlahme und Kinder. Ohne Maschinengewehr war da kein Durchkommen.
    »Wie weit ist es bis zum Ausgang?«, erkundigte ich mich. »Antworte mir, Hark! Wie weit?«
    »Genauso … genauso weit«
    »Dann komm!«
    »Nein! Ich … ich kann nicht. Ich dachte, es ginge, aber es geht nicht. Gratuliere, Lisa! Das war es doch, was du wissen wolltest. Ich muss raus! Lass mich los! Lass mich in Frieden!«
    Ich ließ ihn los, aber nur gerade so lange, dass er das Gleichgewicht verlor. Der Schock, ohne mich verloren zu sein, machte ihn gefügiger.
    »Mach die Augen zu«, sagte ich. »Es kann überhaupt nichts passieren.«
    »Nichts passieren?«, krächzte er. »Sehr komisch!«
    Ich nutzte das Aufflackern seiner Verstandeskräfte und schleppte ihn vorwärts zur Treppe.
    »Aber du hast Recht. Es kann wirklich nichts passie ren.« Dabei quetschte er meine Hand zu Mus. »Ich bin ja nicht allein mit … mit dir wie mit … mit … Sibylle.«
    »Nein, wir sind nicht allein«, folgte ich seiner Spur.
    Er atmete aus. »Man kann dir helfen.«
    »Ja, es sind viele da, die mir helfen. Vorsicht Stufen!«
    Er stolperte dagegen. »Wo? Sie … sie bewegen sich, Lisa! Sie gehen weg, wenn ich meinen Fuß …« Er lachte in Todesangst. »Siehst du das nicht. Sie schießen nach rechts und links weg.«
    »Es wird gleich besser«, sagte ich. »Der Körper kann Angstsymptome nur über einen begrenzten Zeitraum aufrechterhalten. Dann ist der Zenit überschritten.«
    Er krallte mit meinem Ärmel ein Stück Haut. Ich musste zum zweiten Mal seine Hand mit einem fiesen Druck ins Weichteil zwischen Daumen und Zeigefinger von mir lösen.
    Als wir die niedrige, verwinkelte Röhre zur

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