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Höhlenangst

Höhlenangst

Titel: Höhlenangst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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Leute sagen, dann habe ich meine Frau umgebracht.«
    »Warum solltest du das getan haben?«
    Er zuckte mit den Schultern. »Vielleicht wollte sie mich verlassen.«
    »Bringst du darum normalerweise Menschen um?«
    »Vielleicht hat sie mir Hörner aufgesetzt.«
    »Und warum hast du dann nicht ihren Liebhaber umgebracht?«
    »Ich weiß es nicht. Wirklich nicht. Ich erinnere mich weder an das, was im Todsburger Schacht passiert ist, noch an die Wochen und Monate davor.«
    »Das kann nicht sein.«
    »Hast du Seelenklempner studiert? Dann sage ich dir gleich –«
    »Nein, ich habe nichts studiert. Aber als Journalistin liest man ja so allerlei. Demnach ist Amnesie viel seltener, als uns Film und Fernsehen glauben machen wollen. Dass du den Moment der Katastrophe nicht erinnerst, ist normal. Aber die Erinnerung an alles andere kommt gewöhnlich nach einiger Zeit wieder. Oder aber du vergisst vollständig, wer du vorher warst.«
    Ein kleines Lächeln sträubte sich in seinem Bart. »Leider weiß ich noch, wer ich war. Aber der Sommer vor Sibylles Tod liegt wie im Nebel. Wenn ich versuche, mich zu erinnern, dann reagiert mein Körper mit … mit Paniksymptomen. Das hat Gerrit durchaus richtig beobachtet.«
    »Und wovor schützt dich diese Panik?«, rätselte ich. »Wenn du die schlimmste Variante so klar denken kannst?«
    »Welche schlimmste Variante?«
    »Dass du deine Frau umgebracht hast.«
    Er schnaubte. »Ach, findest du, dass das die schlimms te aller möglichen Varianten ist?«
    »Gibt es eine noch schlimmere?«
    Er zuckte mit den Schultern. Unverschämt souverän und gelassen. Gepanzert!
    »Hast du Sibylle geliebt?«
    »Keine Ahnung. Ich habe keine Gefühle mehr, seit ich im Krankenhaus aus dem Koma erwacht bin. Ich bin … nun, eigentlich bin ich tot.«
    Also nicht souverän, sondern tot. Das konnte man leicht verwechseln.
    »He!«, rief Janette. »Wo bleibt ihr denn?« Sie wartete an der Wegecke und blickte prüfend zwischen uns hin und her.
    »Arme Janette«, bemerkte ich, als sie wieder enteilte und uns ihre wunderschönen Hinteräpfel in grob gewebten Jeans zeigte. »Sie hat ganz schön Stress, wenn sie eifersüchtig über den Witwer ihrer besten Freundin wachen muss, nicht?«
    Hark lachte überraschend heiter.
     

17
     
    »Ich glaube«, sagte die junge Mutter, an den Kinderwagen geklammert, in dem das Kind tief und fest schlief, »ich bleibe lieber draußen. Wegen Marie. Es ist doch sicher kalt und feucht da drin, und immer denke ich, hoffentlich fällt mir kein Stalagmit oder Stalaktit auf den Kopf.«
    »Stalaktit«, sagte Hark.
    »Mit t wie Titten, die hängen auch«, bemerkte ich. »Und die hängen da drin seit Jahrtausenden.«
    »What did she say?«, erkundigte sich der junge Amerikaner mit dem sechsten Sinn der Männer für Schweinkram.
    In diesem Moment griff sich Hark in die Jacke und zog sein Handy. Er lauschte einen Moment, dann sagte er: »Ich muss mich leider entschuldigen. Sie haben am Höhlenausgang einen Tropfsteindieb geschnappt. Ich muss dorthin. Es tut mir Leid.«
    Janette zog die dunklen Brauen zusammen. »Können die das nicht ohne dich klären?«
    »Der Dieb ist Franzose. Sie brauchen mich als Übersetzer. Aber ich komme nach, sobald ich kann.«
    »Wir haben Zeit!«, erklärte ich. »Warten wir doch hier, bis sie mit dem Tropfsteindieb herumkommen. Eine solche Story will sich doch auch Janette sicherlich nicht entgehen lassen.«
    Harks Blick senkte sich in meine Halsgrube. Ich muss te husten. Janette zupfte ihn glücklicherweise sofort heraus mit der Frage, wie oft man Tropfsteindiebe stellte.
    Minuten später schleppten zwei Männer mit Bierbäuchen ein achtzehnjähriges Bürschchen auf den Platz zwischen Andenkenkiosk, Parkplatz und Höhleneingang. Voran ging ein Mann in winterlicher Daunenjacke, den Hark als Herrn Winterte begrüßte, ohne Vereins-Du. Er wies ein paar daumendicke Tropfsteine und eine Drahtschere vor. »Zum Glück haben Höhlenbesucher es klopfen gehört und es nach vorn an die Kasse gemeldet. Wir konnten ihn dann hinten in Empfang nehmen.«
    Janette übersetzte leise ins Amerikanische.
    »Bon jour«, sprach Hark den Franzosen an und erklär te ihm die Rechtslage. Ich übersetzte es Janette – zu irgendwas musste meine Ausbildung zur Fremdsprachensekretärin auch mal gut sein –, die es wiederum den Amerikanern erläuterte.
    Der Bursche, aus dem Schwitzkasten zwischen den Bierbäuchen entlassen, fasste Mut und verteidigte sich, er habe das Schild, das Beschädigung

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