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Höhlenangst

Höhlenangst

Titel: Höhlenangst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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Gerrit.
    »Ja, genau!« Richard lächelt seinerseits ungemein erfreut über so viel unerwartetes Verständnis bei dem Buben und streckte die Hand nach dem schwarzen Vieh aus. »Die Tante kommt aus ihrer Tür; ›Ei!‹, spricht sie, ›welch ein gutes Tier!‹«
    »Vorsicht«, sagte Gerrit.
    »Kaum ist das Wort dem Mund entflohen, Schnapp! – hat er ihren Finger schon. ›Ach!‹, ruft sie, ›er ist doch nicht gut! Weil er mir was zu Leide tut!‹«
    »Blutet’s?«, erkundigte sich Gerrit interessiert.
    Richard besichtigte seinen Finger und schüttelte lächelnd den Kopf. »Bin ja auch selber schuld, nicht?«
    »Onk!«, meinte der Rabe und sprang auf den Küchentisch.
    So hatte Richard zwar nicht die Zuneigung des Raben, aber die des Knaben gewonnen, ohne auch nur einmal das Wort »Toll!« ausgerufen zu haben. Zuweilen nahm ich mir vor, von ihm zu lernen, und das war wieder einmal so ein Moment. Allerdings von kurzer Dauer, denn der Rabe duckte sich zum Anflug auf mich, und meine Gelenkknorpel verhärteten sich.
    »He, Lisa!«, grinste Richard. »Du hast doch nicht etwa Angst?«
    »Nein, natürlich nicht!«, krächzte ich. »Man kommt ja auch blind ganz gut durchs Leben.«
    Die Erlösung kam in Gestalt von Hark rasch und leise in die Küche. Er griff in eine Dose mit Nüssen, ließ eine Haselnuss in eine kleine leere Kaffeesahneflasche fallen und stellte sie auf den Tisch. Huckebein klackerte mit seinen Krallen über die Tischplatte an das Fläschchen heran, nahm es mit seinem mächtigen Schnabel und kipp te sich die Nuss hinter die Binde.
    Wenn ich gekonnt hätte, hätte ich sicherlich ein anerkennendes »Oh!« hervorgestoßen, oder ein »Toll!«
    »Das hat er von Gerrit gelernt«, erklärte Hark, während er das Federvieh mit beiden Händen vom Tisch nahm. »Wir glauben immer, nur Kinder könnten uns nachahmen, und Raben haben schließlich keinen Mund, sondern einen Schnabel. Aber alle Wirbeltiere wissen von allen anderen Wirbeltieren, wo die Augen und der Mund sind. Als Graf Huckebein versuchte, aus einem Glas zu trinken, gab es allerdings eine ziemliche Schweinerei.« Damit trug er den Raben zum offenen Fenster, warf ihn mit Ruhe, aber Entschlossenheit in die Luft, schloss das Fenster und drehte sich zu uns um.
    Die Vernunft kehrte in meinen Verstand zurück. »Übrigens, das ist Richard Weber«, stellte ich vor. »Und das ist Hark Fauth.«
    Eine Sekunde musterten sich die beiden Rüden mit erhobenen Ruten und verhaltenem Knurren in den Kehlen. Hark war einen bärtigen Kopf größer als der glatte Richard und in Jeans und T-Shirt von ordinärer Männlichkeit. Aber ich bin sicher, dass Richard den Nachteil seines zivilisierten Anzugs durch einen Schraubstockhändedruck ausglich. Danach taten sie so, als würde es um nichts gehen.
    »Ich hoffe«, wandte Hark sich an mich, »du hast nichts dagegen, dass ich mitkomme.«
    »Äh … natürlich nicht!«
    Jetzt hätte sich Richard erklären müssen. Aber er gab sich mimosig, wollte eingeladen werden. War Hark eigentlich bewusst, dass er das Fenster geschlossen hatte?, war die Frage, die mich viel mehr interessierte. Riskierte er Beklemmungen im eigenen Haus zur Milderung mei ner Vogelphobie?
    »Und wo fahren wir hin?«, sagte er munter. »Bei dem Nebel sollten wir es vielleicht gar nicht erst in Blaubeuren probieren, sondern gleich im Eselsburger Tal, auch wenn es ein bisschen Fahrerei ist.«
    Richard sagte immer noch nichts.
    »Dann los!«, sagte Hark. Gerrit schwang sich seinen Rucksack mit dem Vesper über die schmalen Schultern. Im Hausflur schulterte Hark eine pralle Sporttasche. Richards S-Klasse mit den getönten Scheiben sah vor dem alten Schuppen zwischen Wald und Wiese ziemlich humorlos aus.
    »Krass!«, rief Gerrit. »Gehört der Ihnen? Wie viel PS?«
    »Keine Ahnung«, antwortete Richard. Sein Elefantengedächtnis schloss – ganz unmännlich – die technischen Daten von Autos nicht mit ein.
    »Hat er einen Navigator?«
    »Das ja.«
    »Fahren wir mit dem?« Gerrit warf erst seinem Vater einen zweifelnden und dann Richard einen hoffnungsvollen Blick zu und zog die Schultern hoch, noch bevor das Urteil fiel.
    »Tut mir Leid, Gerrit«, antwortete Richard freundlich. »Aber ich komme nicht mit. Ich kann nicht klettern.«
    »Das kann man lernen! Ich werde es auch lernen.«
    »Und ich würde gerne zugucken, Gerrit, aber ich habe keine Zeit.« Damit wandte er sich an Hark. »Herr Fauth, ich hätte noch kurz eine Frage. Sie kennen doch sicherlich die Leute, die

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