Höhlenangst
am Montag an der Mondscheinhöhle waren, um nach der Leiche zu suchen. Ich müsste mit dem Einsatzleiter sprechen.«
»Die Uracher Spinnen«, antwortete Hark und tat so, als wunderte er sich nicht, warum der Affe im Anzug das wissen wollte.
»Und gestern haben sie die Leiche gefunden«, teilte Gerrit mit.
»Wie gruselig«, antwortete Richard.
Gerrit lachte.
»Wenden Sie sich an Winnie Müller«, sagte Hark. »Spedition Müller in Bad Urach, gleich am Ortseingang links. Nicht zu übersehen.«
»Danke, Herr Fauth. Und … äh … viel Spaß.«
»Komm doch mit!«, entflutschte es mir. »Zu Winnie kannst du später immer noch.« Eine vage Angst kullerte mir plötzlich im Gedärm. Zum Teufel damit. »Oder komm nach!«
Hark runzelte die Stirn.
»Mal sehen«, sagte Richard.
22
Bei Ulm Ost entließ uns der Nebel in einen sonnigen Tag. Hark fragte meine gesellschaftliche Verankerung ab. »Für eine Journalistin ist es sicher nützlich, mit einem Staatsanwalt befreundet zu sein.«
»Wobei zwei Voraussetzungen nicht stimmen«, antwortete ich. »Ich bin keine Journalistin mehr und der Staatsanwalt erzählt mir nichts.«
Jurakalkfelsen, Wacholderheide und Trockenrasen. Das Eselsburger Tal lag in einer Schleife der Brenz und war Schwäbische Alb in Reinkultur. Wir parkten am Heimatmuseum. Hark schulterte die schwere Tasche. Von hier aus waren es noch zwei Kilometer zu Fuß.
Als am Hang über dem Fluss die Kalksäulen der Steinernen Jungfrauen – jedes Klettergebiet besitzt Jungfrauen – und die drei dicht beieinander stehenden Kletterfelsen auftauchten, die schlichte Jungfrauenwand, die zerklüftete Mittlere Wand und die glatte und schwierige Wand des Wilden Hundes, da kam mir die Erinnerung wieder. Hier war ich schon einmal geklettert, in Jugendzeiten, als man sich die Geographie noch nicht merkte.
Zwei sehnige junge Männer trainierten schon am Wilden Hund, und die leichteste Strecke, der Kamin, war von einem Paar besetzt, sie im Fels und er am Sicherungsseil, freigiebig mit Ratschlägen. Ich schlug Rückseite vor. »Vielleicht ist der Südriss noch frei.«
Dort war niemand.
Unter den Jeans trug Hark bereits Jogginghosen. Für mich hatte er ein Paar Kletterschuhe in meiner Größe dabei. Sibylles? Die Frage lag mir auf der Zunge, aber Gerrit hätte es womöglich weniger unemotional gesehen als sein Vater.
»Ich steige den Riss vor und führe das Seil oben durch den Umlenkhaken«, erklärte ich. »Dann kann Gerrit klettern, ohne sich um die Eigensicherung kümmern zu müssen. Und du?«, wandte ich mich an Hark. »Bist du bereit und imstande, mich zu sichern?«
»Ich bin bereit und imstande.«
Er hatte drei dynamische Seile dabei, zwei orangefarbene und ein blaues, zwei Sitzgurte für Erwachsene und einen für Gerrit. Beim ersten Griff in die Ausrüstung war alles wieder da, was mir einst ein unduldsamer Kletterlehrer eingedrillt hatte. Ich knüpfte ein Seil auf, zog es durch die Hand, suchte die markierte Mitte und ließ es in Rollen auf den Boden sinken. Dann schlang ich am Seilende einen Achterknoten, hakte die Schlaufe mit einem Schraubkarabiner vorn in meinen Sitzgurt und übergab Hark das Seil. Er legte es sich hinten um die Hüfte. Das Seilende, an dem ich hängen würde, lief ihm rechts aus der Hand heraus, während das Restseil durch die Linke hereinkam. Im Fall meines Absturzes bremste es sich so praktisch von allein, und selbst ein kleinerer und leichterer Mann als Hark konnte mich locker halten.
Der Südriss bot für Füße und Hände bequeme Haltepunkte. Etwas holzig erklomm ich Strecke für Strecke zwischen den in die Wand zementierten Sicherungsbolzen bis nach oben zum Umlenkhaken. Dort sicherte ich das Seil mit zwei Karabinern, eingedenk dessen, dass Hark ein Sicherheitsfanatiker war.
»Die Seilmitte?«, rief ich hinunter.
Hark hob die linke Hand. »Noch nicht durch.«
»Dann komme ich jetzt.«
»Okay!«
Ich hüpfte die Wand hinab, während er wohldosiert Seil gab.
Unten treppelte Gerrit schon. Wir schnallten ihn in den Sitzgurt. Als er auf die Wand zusprang, gab Hark mir das Seil. Seine Hand berührte nicht zufällig meine. Was woll te er denn immer noch?
Gerrit kletterte wie eine Eidechse.
Hark atmete, als kletterte er selbst.
»Erstaunlich«, bemerkte ich, »dass du dir die Ratschläge verkneifen kannst. Die meisten Väter werden zu pädagogischen Unholden, sobald ihre Söhne Sport treiben.«
»Ich bin leider nicht wie die meisten Väter. Aber manchmal ist das auch von
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