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Höhlenangst

Höhlenangst

Titel: Höhlenangst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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Vorteil.«
    Gerrit langte wohlbehalten oben an und jubelte. »Schau mal, Papa, ich bin ganz oben.«
    »Toll!«, stieß Hark hervor.
    Er kam auch heil wieder runter.
    »Papa, jetzt du!«
    Hark musterte skeptisch die Wand. Gerrit musterte besorgt seinen Vater. Dessen Kiefermuskeln zuckten. »Probieren kann ich es ja mal.«
    »Deshalb bist du doch mitgekommen, oder?«, bemerkte ich.
    Er versuchte, mich nicht anzublicken, und bückte sich zur Sporttasche nach den Kletterschuhen »Etwas ungewohnt, so ohne Abseilen«
    »Willst du deinen Vater sichern?«, fragte ich Gerrit.
    »Kann ich das denn?«
    Ich stellte Gerrit vor mich hin, schlang das Seil um meine eigene Hüfte, gab Gerrit aber die beiden Seilteile in die Hand.
    Selten hatte ich einen Kletterer so sicher und furchtlos steigen sehen wie Hark. Nun gut, allzu viele hatte ich noch nicht gesehen. Es sah flüssig, leicht und kraftvoll aus. Er zögerte nie und kam auch nie aus dem Rhythmus. So sah das aus, wenn Athletik zur Ästhetik wird. Im Nu war er oben angekommen – was war ich dagegen vorhin herumgekraxelt! – und blickte unter sich.
    »Seilmitte links!«, rief ich und griff vor Gerrit ins Seil.
    Aber Hark zögerte. Unerwartet logisch, dass er sich nicht ins Seil fallen lassen konnte. Er war beim Abseilen abgestürzt.
    »Komm, Papa!«, rief Gerrit. »Wir halten dich doch.«
    Hark reagierte nicht.
    Ein bisschen blöd war es schon, denn wie bekam ich ihn da nun wieder runter. Es gab Wände, da konnte man in den Berg aussteigen, aber die Mittlere Wand im Eselsburger Tal war ein frei stehender Block.
    »Bleib, wo du bist«, rief ich und nahm Gerrit das Seil ab. »Jetzt kommt es auf dich an, Gerrit.« Ich band das Seil, an dem Hark hing, am untersten Sicherungsring fest. »Und wenn ich sage, dass du es öffnen sollst, dann ziehst du hier, klar?«
    »Klar.«
    Schuhe an, rein in den Sitzgurt. Kurz überlegen! Ich knüpfte das zweite orangefarbene Seil auf. Da Gerrit mich nicht von unten sichern konnte, musste ich selbst Schlaufen ins Seil knüpfen, mit Karabinern versehen und in die Sicherungsbolzen haken. Es war wie beim Vorsteigen in einer Seilschaft. Und ich war noch nie vorgestiegen.
    »Ich komme mir vor wie ein Esel«, sagte Hark, als ich mein Seil durch die beiden Karabiner am Umlenkhaken führte, in dem auch sein Seil hing. »Höhenangst habe ich nun wirklich nie gehabt.«
    »Womöglich hat dein Gleichgewichtssinn beim Sturz gelitten. Außerdem ist dein Hirn auf Angst programmiert. Nicht nach unten schauen!«
    »Jaja!« Er drehte den Blick gen Himmel und versuchte zu lachen. »Was für ein Psychotrip. Wenn ich das gewusst hätte.«
    »Du wolltest es doch wissen.«
    »Scheiße, ja! Und was machen wir jetzt?«
    Mein Bilderbuchheld, der Exkursionsleiter mit fast zwanzig Jahren Erfahrung, fragte mich am Felsen, was wir jetzt machen sollten. Das lief mir runter wie Sesamöl.
    »Ganz einfach: Wir seilen uns nicht ab«, antwortete ich, »wir klettern hinunter.«
    Um die grauen Augen herum wirkte er ziemlich angespannt.
    »Oder möchtest du, dass ich die Bergwacht rufe? Oder die Burschen von der anderen Seite?«
    »Bloß nicht!« Die Alternative so klar vor Augen, wag te er die erste Auseinandersetzung mit der Tiefe. »Eigent lich ist es nicht das Runterschauen, was mir Angst macht«, stellte er dann fest.
    »Gut. Dann wirst du an meinem Seil hinunterklettern. Du hast zwei Schlaufen mit Karabinern, um dich von oben nach unten zu sichern. Und wenn du unten bist, dann sicherst du meine Abfahrt. Dazu müssen wir jetzt nur die Seile tauschen.«
    »Nein! Nein, auf keinen Fall! Das geht nicht.«
    »Was geht nicht?«
    »Die Seile … tauschen, das geht … geht nicht.« Seine Hand wurde weiß am Fels.
    »Ganz ruhig!« Ich überlegte hektisch. Wir wären jeder für einen kurzen Moment ungesichert, wenn wir die Seile tauschten. Wenn es das war, was er fürchtete …
    »Gut, dann machen wir es anders. Du steigst an deinem eigenen Seil zum obersten Sicherungsbolzen runter. Ich werde versuchen, dich dabei zu sichern, aber es wäre besser, wenn du es nicht austestest. Meinst du, das geht?«
    Er nickte. Nein, um sich selbst hatte er keine Angst. Eher vor sich selbst.
    »Gerrit«, rief ich nach unten. »Mach das Seil los.«
    Gerrit sprintete an den Felsen und löste den Knoten. Ich zog rasch ein paar Meter zu mir herauf und schlang es mir um die Hüften. Hark begann den Abstieg genauso furchtlos und flüssig, wie er aufgestiegen war. Ich gab ihm Seil, bis er am unter ihm liegenden

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