Höhlenangst
Bierglas. Dabei suchten seine Augen nach der Bedienung. Unmissverständlicher konnte ein Mann kaum das Ende des Gesprächs erklären, sobald er aufhörte, der Held zu sein.
Während er zahlte, sichtete ich die auf meinem stumm gestellten Handy eingegangenen Anrufe. Dreimal Janettes Nummer und einmal ein Anruf, der sich hinter »Keine Nummer« versteckte. Vermutlich Richard. Ich hatte seinen Anruf eigentlich schon gestern Abend erwartet. Erstens hätte er mir Bericht erstatten müssen, wie das Ge spräch in der PD Reutlingen verlaufen war, zweitens hät te er mir mitteilen müssen, wo er die Nacht verbrachte, wenn er schon keinen Versuch unternahm – der abschlägig hätte beschieden werden müssen, denn mein Gästebett bei Janette war jungfräulich schmal –, sie mit mir zu verbringen, und drittens hätte er sich heute früh ruhig mit mir verabreden können, nachdem ich mich gestern als betreuungs- und liebesbedürftig geoutet hatte. Ihn bei seiner alten Freundin in Hohenstein anzurufen, hatte er mich wiederum nicht autorisiert. Nicht, dass ich mich sonst von dem Stacheldraht behindern ließ, mit dem er seine unterschiedlichen Privatleben voneinander trennte. Aber jetzt durfte ich auch mal beleidigt sein.
Ich tippte einen Rückruf in Janettes Ziffern.
»Wo steckst du denn!«, rief sie.
»Was ist nun mit der …« Ich senkte die Stimme, damit die Wirtin nicht erschrak. »… mit der Leiche?«
Die Wirtin glubschte mich an.
»Was?«, schrie Janette. »Ich höre dich nur ganz leise!«
»Wie steht es bei euch?«, formulierte ich um.
»Er bleibt vorerst unten. Da müssen Spezialisten ran. Jetzt wird man die Bilder auswerten, und dann wird man schauen, ob dieser Achim Haugk Verwandte hat, die ihn eventuell aufgrund der Bilder identifizieren könnten. Vielleicht wird man mit entsprechendem Gerät noch den Versuch machen, gentechnisch verwertbares Material zu entnehmen. Wie lange der schon da unten liegt, kann momentan niemand so genau sagen. Aber ein paar Wochen sicherlich. Bei dem Kühlschrankklima da unten ist das schwer abzuschätzen. Und wieso bist du so plötzlich verschwunden?«
»Es war was wegen Richard. Er … äh …«
»Aber zum Abendessen kommst du doch! Bring ihn doch mit. Florian hat frische Forellen.«
»Hm, lecker!«, rülpste ich.
Aus Gewohnheit probierte ich es bei Richard im Amt, während Hark aufstand, um an der Bar ein paar Worte mit dem Wirt zu wechseln.
»Kallweit«, meldete sich Richards Vorzimmerträne.
»Dr. Weber, bitte«, sagte ich so knapp wie möglich, denn dann bestand die Chance, dass sie mich nicht an der Stimme erkannte. Sie erkannte mich aber doch.
»Dr. Weber ist in der Sitzung.«
»Quatsch, Frau Kallweit. Er ist nicht im Gericht, er hat Urlaub. Und wenn er trotzdem gerade nebenan im Büro sitzt und Sie stellen mich nicht augenblicklich durch, dann kriegen Sie wirklich Ärger mit ihm. Das kann ich Ihnen garantieren.«
Die Leitung knackte.
Richard meldete sich. »Ah, Lisa.«
»Was gibt es?«, fragte ich. »Du hast versucht, mich zu erreichen.«
»Ach so, ja.«
»Störe ich? Kannst du gerade nicht reden?«
»Stimmt.«
»Also gut. Dann ganz kurz: Janette hat dich und mich heute zum Abendessen eingeladen. Es gibt erntefrische Forellen.«
»Leider kann ich nicht.« Er klang unfroh und bedrängt. »Ich melde mich.«
Hark stand schon draußen auf dem Parkplatz und musterte den bewaldeten Berg, den die beiden Autobahnspuren in die Klammer nahmen. Von links nach rechts rauschte der Verkehr Richtung München den Albanstieg hinauf.
»Dort«, sagte ich, »ist doch der Todsburger Schacht.«
»Und hier im Eseleck liegt der Schlüssel.«
»Die Höhle ist abgeschlossen?« Ich musste lachen.
»Wir haben ein Gitter über den Eingang gelegt, nachdem einmal an einem Sonntag zwei Väter und vier Kinder sich in T-Shirts und Turnschuhen per Hand an einem Seil hinuntergelassen haben. Natürlich kamen sie aus eigener Kraft nicht wieder herauf. Es war ein riesiger Einsatz. Ein wahres Wunder, dass keinem was passiert ist.« Ich hörte ihn schnaufen neben mir. »Übrigens, es ist okay. Du kannst mit Gerrit klettern gehen.«
»Morgen?«
Er nickte.
»Gut, ich hole ihn morgen früh ab. Allerdings habe ich kein Kletterzeug mehr.«
»Das kannst du von mir haben.«
War es das, was er mir angesichts des Bergs seines vollständigen persönlichen Desasters hatte sagen wollen? Oder war seine große Frage an mich diejenige, die er stellte, als wir am Trüpl entlangbrausten?
»Darf ich dich
Weitere Kostenlose Bücher