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Höhlenangst

Höhlenangst

Titel: Höhlenangst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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mich morgens elektrische Schläge, sobald ich an den Wasserhahn fasste.
    Ich füllte die Kaffeemaschine, öffnete den Kühlschrank und warf ein Schälchen angeschwärzter Erdbeeren und ein Stück weißgrün überwachsenen Specks weg. Salami hingegen überdauerte alles.
    Ich rief Wagner an.
    »Du willst also«, plapperte er sofort los, »dass ich mit meinem Bus mit Antenne nach Trochtelfingen fahre und mich in ein 802.11 -Netz einhacke?«
    »Ich weiß, es ist verboten.«
    »Ganz und gar nicht. Unser Strafgesetz verbietet den Einbruch in einen Computer nicht, es sei denn, der Besitzer hat ihn durch Passwörter geschützt. Gefunkte Daten sind jedoch vogelfrei. Selbst dann, wenn sie verschlüsselt sind. Treffen wir uns heute Abend im Tauben Spitz ? Sieben Uhr?«
    »Und bring deine Kamera mit.«
    Ich süffelte den Kaffee und schaute aus dem Fenster. Der Hochbahnsteig der Stadtbahn teilte die Neckarstraße. Auf der Seite vor der Staatsanwaltschaft wurde gebaut. Richards Büro befand sich genau auf meiner Augenhöhe im dritten Stock.
    Ich tippte seine Nummer ins Telefon.
    »Kallweit?« Immer wieder staunte ich, wie wenig sich die Vorzimmerschnepfe an die Formalitäten eines Betriebs mit Außenkontakt hielt. Ich legte wieder auf. Leider hatte Richard mir verboten, sie zu bedrohen. Noch eine Stunde bis drei Uhr. Dann ging freitags da drüben der Laden runter. Man kam zwar hinten über den Parkplatzhof noch rein, aber Frau Kallweit würde Richards Büro abgeschlossen haben.
    Vor dem Spiegel in meinem Schlafzimmer stattete ich mich mit kurzem Schottenrock, schwarzen Strümpfen, kniehohen Schnallenstiefeln, Nietengürtel, Zweilagenshirt und einer kurzen schwarzen Plastikjacke aus. Dazu Lippenstift, blauer Lidschatten und Wimperntusche. Pförtner waren meist schlichten Gemüts. Mit der Umhängetasche aus Stoff mischte ich mich auf der Straße unter die Türken, Verkäuferinnen und Säuferinnen. Die Fußgängerampel schleuste frühe Arbeitsflüchtlinge und späte Schülerinnen auf die Bahnsteige. Viel nackte Hüfte quoll über die Bünde knapper Jeans. Den Fußweg an der Staatsanwaltschaft entlang hielt ein geheimes Humanizid menschenleer.
    »Ach, Fräulein Nerz! Grüß Gottle«, grüßte mich der Pförtner. »Aber der Herr Dr. Weber ischt net im Haus.«
    »Ich müsste halt schnell was raufbringen zu Frau Kallweit. Ich habe gerade mit ihr telefoniert.«
    »Ja, wenn Sie mit ihr telefoniert haben …« Er lächelte und stellte mir den Passierschein aus. »Dann springen Sie halt.«
    Stock um Stock wandelte ich durch die Gänge. Erst das Geschäftszimmer im zweiten Stock war leer. Von schräg gegenüber klangen Gläser und ein knickriges »Happy birthday to you«. Ich huschte in das Abteilungssekretariat und wählte noch einmal Richards Büro an.
    »Kallweit?« Sie kaute irgendetwas.
    »Ja, äh«, wisperte ich praktikantinnenblöde, »spreche ich mit Roswita Kallweit? Sie sollten bitte mal schnell zum Chef raufkommen. Da ist eine persönliche Mitteilung für Sie gekommen.«
    Vermutlich dachte Kallweit jetzt in Verkennung ihrer Fähigkeiten, es warte ein Brief von der Personalabteilung mit einer Gehaltserhöhung oder Gratifikation auf sie.
    »Jetzt gleich?«, fragte sie.
    »Ich weiß nicht, aber es wäre vielleicht nicht schlecht. Der Chef hätte halt jetzt gerade Zeit.«
    »Na gut.«
    Ich legte auf. Immerhin hatten sie hier schon Telefone mit Tasten anstelle von Wählscheiben. Aber bis zum Display hatte der Etat noch nicht gereicht. Ich nahm noch einen Kugelschreiber mit und stieg übers Treppenhaus einen Stock höher. Kallweit fuhr garantiert Fahrstuhl, auch in den vierten Stock, wo der Amtsleiter untergebracht war. Da außerdem dort der Staatsschutz saß, waren die Türen mit Zahlencodes gesichert. Es würde Zeit kosten, bis Kallweit drin und das Missverständnis geklärt war.
    Ich linste um die Ecke in den Gang. Das perückenschwarze Haar auf den Rücken schwingend, zog Kallweit die Bürotür zu und folgte dann auf Stöckelschuhen ihrem wogenden Busen zum Fahrstuhl. Der Fahrstuhl surrte ab, und ich eilte an den Aktenwagen vorbei, trat in Richards Vorzimmer und ging durch in sein Büro.
    An den Wänden reihten sich in Purpur und Blau die juristischen Werke. Mit dem Rücken zum Fenster stand ein Schreibtisch aus Kafkas Zeiten. Auch den Computer hätten die polnischen Sperrmüllgeier nicht mehr mitgenommen. Richards Tisch war leer. Im Haus galt der Grundsatz der Tabula rasa. Staatsanwälte sollten immer nur den Fall auf dem Tisch

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