Höhlenangst
nach vorn und klappte sie auf.
Er warf einen Blick auf mein Handy in all der Leere und schmunzelte. »Was die Kallweit nur immer mit Ihnen hat!«
34
Für mich haben die großen Politmagazine ganz umsonst auf Tabellen umgestellt, und die Bildzeitung ist mir zu hoch. Grafiken und Zahlen erschlossen sich mir nicht. Richard hingegen liebte Schatzkarten.
Ich rief Christoph Weininger an, seines Zeichens Oberkommissar im Dezernat 1.1 für Tötungsdelikte und Todesermittlungen im Stuttgarter Polizeipräsidium in der Hahnemannstraße auf dem Pragsattel, und fragte ihn, ob er wisse, was eigentlich in der PD Reutlingen los sei.
»Ah, Lisa«, seufzte er. »Ich kann dir nicht sagen, wa rum sie Weber verhaftet haben. Das ist nicht unsere Sache. Aber da steckt sicher Abele dahinter. Weber hat ihn vor einigen Jahren heiß gemacht, damit er gegen einen Unternehmer auf der Alb ermittelt, Räffle heißt der Mann, und dann hat er ihn zurückgepfiffen. Aus politischen Gründen, wie Abele seitdem behauptet. Räffles Firma steckt ja im Bau der neuen Messe am Flughafen mit drin. Du kannst dir vorstellen, wie Weber darauf reagiert hat. Das Ende vom Lied war, dass der Stuttgarter Dezernatsleiter Abele eine hohe Verwendungsbreite bescheinigte, was so viel heißt wie: Der kann alles und nichts, tut den bloß weg! Abele wurde auf eine Fortbildung zur Leichensachbearbeitung auf der Polizeischule in Villingen-Schwenningen geschickt und dann – auf eigenen Wunsch, wie es heißt – nach Reutlingen versetzt, als 11er Kriminalhauptkommissar.«
Was so viel hieß wie Hauptkommissar der unteren Gehaltsgruppe. Noch einer, der Richard die Pest an den Hals wünschte, genauso wie Christoph Weininger.
Um sechs steckte ich im Anzug mit Weste und saß im Tauben Spitz im Bohnenviertel, wo sich die Versicherungsangestellten, Gerichtsdiener und Büroangestellten den Übergang vom Büromobbing zum Familienterror mit Getränken zum halben Preis versüßten. Die Kulturelite besuchte das Weinlokal in Stuttgarts Altstadt im Winkel der Ein- und Ausfallstraßen zwischen Gerichtsviertel, Sexshop und Junkiestrich erst später am Abend.
Sally versorgte mich mit Pils und Maultaschen in der Brüh. Um sieben kam Wagner. Er sah nicht aus wie handelsübliche Hacker, die sich von Nikotin und Pizza ernährten. Er tarnte sich mit dem Bauch eines Gourmets, dem gepflegten Vollbart eines Theaterkritikers und dem hellbeigefarbenen Leinensakko eines Italienreisenden. Offiziell führte er eine Firma, die große Unternehmen in Sicherheitstechnik für Computer beriet.
Nachdem er einen Trollinger bestellt hatte, wollte er wissen, wie ich seine Schuhe fände, italienisch, handgenäht. »Und rat mal, was die mich gekostet haben? Zehn Euro! Hab ich beim Online-Versand bestellt. Es ist nämlich ganz leicht, den Preis zu ändern, wenn das Programm die Ware in den Warenkorb legt.«
Ich nestelte die Patek-Philippe-Uhr von meinem Handgelenk und legte sie auf den blanken Holztisch.
Wagner ergriff sie mit Kennerhänden. »Eine Calatra va. Wunderschön! Gebraucht gekauft?«
»Nein, gefunden. Und ich suche den Besitzer. Da habe ich mir gedacht, du fotografierst sie und stellst sie ins Internet.«
Wagner lachte. »Und warum sollte der Besitzer im Internet nach seiner Uhr suchen?«
»Warum nicht? Vielleicht glaubt er, dass sie ihm gestohlen wurde und jetzt bei ebay verscherbelt wird.«
»Aber du willst sie nicht versteigern, nein? Also gut. Ich lasse mir was einfallen. Weil du es bist.« Er machte mit seiner Digitalkamera ein Foto und notierte sich die Stichworte zum Fundort, damit er den wahren Besitzer identifizieren konnte.
Beim zweiten Viertele dämpfte er auch meine Hoffnungen, dass ein Einbruch in Florians Funknetz mir zu wesentlichen Erkenntnissen verhelfen werde. »Ich kann dir sagen, auf welchen Pornoseiten er gerade surft oder welche E-Mails er abholt. Aber auf seine Festplatte komme ich so nicht. Wonach suchst du denn?«
Ich strich Richards Schatzkarte auf dem Holztisch glatt.
»Ah!«, sagte Wagner, plötzlich ernst. »Verstehe!«
Ich hielt die Klappe.
»Du wirst erpresst.«
»Was? Nein!«
»Aber diese Daten und Zahlen deuten darauf hin, dass jemand seit zwei Jahren relativ hohe Summen zahlt. Er könnte sie natürlich auch empfangen haben. Dann wäre es Bestechung. Schau, es ist doch ganz einfach. Das da ist der Empfänger, und da unten, das ist der Absender, ein gewisser R. Das Geld geht über einen gewissen F in T auf ein Konto auf den Bahamas. Von dort kommt
Weitere Kostenlose Bücher