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Höhlenangst

Höhlenangst

Titel: Höhlenangst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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haben, an dem sie gerade arbeiteten. Alle anderen Akten lagerten im Archiv.
    Richards Büro hatte allerdings eine Besonderheit, die ihn der Mühe enthob, anderweitig für Spott unter den Kollegen zu sorgen. In der Ecke hinter der Tür stand ein tonnenschwerer Tresor, von dem die Mär ging, der Vorgänger habe ihn aufstellen lassen, um darin eine Schusswaffe aufzubewahren, weil er sich bedroht fühlte. Er war dann an einem Herzinfarkt gestorben. Und ehe sich jemand verhob, hatte man den Safe stehen lassen.
    Ich setzte mich im Schneidersitz aufs Linoleum, holte mein Handy aus der Umhängetasche und rief den Eintrag Weber auf. Die Nummer schob sich aufs Display: 3xr21.4xl60.2xr79. Sahen so wirklich Kombinationen für Zahlenschlösser aus? Mitten auf der Tresortür saß der Zahlenkranz, wie man ihn aus Film, Funk und Fernsehen kannte. Die Zahlen reichten bis 80. Meine Hoffnung stieg. In Richards Code war keine Zahl höher als 79.
    3xr21.4xl60.2xr79
    Allerdings, Buchstaben sah ich keine. Der Zahlenkranz glitt wie geölt, nach links und rechts. Und wenn die Buchstaben 1 und r nun links und rechts bedeuteten? Ich drehte die 3 nach oben. Und nun? Nach rechts bis 21? Danach nach links bis 60, dann wieder nach rechts bis 79. Der Türgriff saß wie gegipst.
    »Drei X rechts? … Drei MAL rechts bis einundzwanzig«, generierte mein Sprachzentrum. Ich drehte drei Mal und stoppte bei 21 an der Zwölfuhrscharte über dem Kranz. Nun vier Mal andersherum durchdrehen und bei 60 anhalten. Und zum Schluss zwei Mal links und bei 79 stoppen.
    Der Türhebel gab nach, die Stahltür schwang auf.
    In dunkler Leere kümmerte eine blaue Blechdose mit einem Aufkleber, auf dem »Freud und Leidkasse« stand. Nachträglich hatte jemand den Bindestrich hinter »Freud« geklemmt. Die Kasse enthielt einige Hundert Euro in Scheinen und Münzen. Ich frohlockte. Offenbar misstraute Richard seiner Frau Kallweit in puncto Geld.
    Im unteren Fach, nach hinten gestoßen, fand ich eine Aktenmappe ohne Aufschrift. Ich zog sie mir auf den Schoß. Richard, du Aas! Es war sein Dossier über mein Leben am Rand der Kriminalität. Sollte ich jemals vergessen, wer ich war, würde ich mich damit rekonstruieren können. Als mir die Akte zuletzt in die Finger gekommen war, hatte sie in seinem Schreibtisch gesteckt, und ich hatte sie ihm nicht entwenden können. Später hatte er sie mir mit großer Geste übergeben, jedoch offensichtlich eine Kopie davon behalten. Wenn er mir jetzt Gelegenheit gab, das zu entdecken, musste er sich von meinem Griff in seinen Safe sehr viel versprechen.
    Allerdings hätte dann auch noch etwas drin sein sollen! Ich hielt meine Denkmaschine an und startete sie neu.
    Falls Beschluss erging, Richards private und dienstliche Räume zu durchsuchen, so würde man auch den Safe öffnen. Meine Akte darin würde mir zweifellos mehr Aufmerksamkeit bescheren, als wenn sie offen auf Richards Schreibtisch gelegen hätte. Also mitnehmen. Ich klappte meine Umhängetasche auf und steckte die Akte hinein. Im schattigen Loch meiner Schneidersitzbeine schimmerte weiß auf grauem Linoleum ein Zettel, der offenbar unter der Mappe gelegen und den ich mit herausgezogen hatte. Es war ein aus einem Ringhefter herausgerissenes kariertes Blatt mit Schatzkarte: Zahlen, Kringel um Buchstaben, Pfeile. Ich faltete das Papier zusammen und steckte es in den Schaft meines Stiefels. Dann stellte ich die Freud- und Leidkasse zurück in den Tresor. Tür zu, Zahlenkranz einmal gedreht, aufstehen und nichts wie weg.
    Ich spickte durch den Türspalt ins Vorzimmer. Kallweits Schreibtisch döste. Neben dem Telefon miaute stumm ein Porzellankätzchen. Ich huschte an der kalten Kaffeemaschine und dem eingetopften Grünzeug vorbei zur Tür und rannte direkt in Roswita Kallweits Bug hinein.
    »Das hätte ich mir ja denken können!«, sagte sie.
    »Ich hab ihm nur was auf den Tisch gelegt«, antworte te ich und schrammte an ihrem Busen vorbei in den Gang. »Schönen Tag noch!«
    »Jetzt Moment, warten Sie! He! Stehen bleiben!«
    Auf Stöckelschuhen konnte sie mir nicht folgen. Ich treppelte in den nächsten Stock hinunter und entsorgte meine Akte auf dem nächstbesten Aktenwagen. Im Archiv würde sie niemand mehr entdecken, es sei denn, jemand fragte danach. Und wer sollte fragen? Obgleich ich mich in den Wochenend-Exodus einreihte, pickte man mich an der Pforte heraus. »Fräulein Nerz«, sagte der Pförtner. »Ich müsste dann mal in Ihre Tasche schauen.«
    Ich zog die Umhängetasche

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