Höhlenangst
es zurück über die Schweiz und Liechtenstein und landet hier in der Mitte. Die Zahlen daneben sind die Kontonummern und Bankleitzahlen, und das hier sind die Summen, die geflossen sind. Fast 400.000 Euro in genau einundzwanzig Monaten. Zuletzt im Februar. Ein solches Geldkarussell rückwärts nachzuvollziehen, ist praktisch unmöglich. Deshalb ist es sehr wahrscheinlich, dass der Autor dieser Skizze der Absender des Geldes ist. Er zahlt.«
Das Blut sauste mir in den Ohren. Diesen Beweis seiner Erpressbarkeit also hatte ich aus Richards Safe retten sollen, bevor Abele einen Durchsuchungsbeschluss erwirkte.
»Hat dieser Typ mit dem Funk-PC in Trochtelfingen irgendetwas damit zu tun?«, erkundigte sich Wagner.
»F in T … Florian in Trochtelfingen!«, stammelte ich. »Und deshalb brauche ich mehr als die Pornoseiten, die er heute Nacht aufsucht.«
Wagner seufzte. »Das hatte ich mir schon gedacht. Aber dann wird es illegal.«
Ich bot ihm eine überzeugende Summe an. Ob ich die nächstes Jahr wohl als freischaffende Detektivin von der Steuer absetzen konnte? Nach dem Nemo-tenetur-Grundsatz. Meine Steuererklärung musste ich auch noch machen.
Nachdem Wagner gegangen war, zog ich an die Bar um, hinter der Sally Gläser wusch und Trollinger mit Lemberger pantschte.
»Wo hast du Richard heute gelassen?«, fragte sie.
»Im Gefängnis.«
Sally lachte. Sie kannte mich immer noch nicht, obgleich sie sich das Anrecht auf umfassende Kenntnis meiner Abgründe erworben hatte, als sie nach meinem Unfall im Krankenhaus neben mir gelegen und gemerkt hatte, dass ich an einem Medikamentenschock abzunippeln drohte. Sally verdiente ihren Lebensunterhalt nicht nur im Tauben Spitz, sondern auch als Sprechstundenhilfe bei einem Kinderarzt, dessen Haupteinnahmequelle darin bestand, dass er zum Quartalsende seine Patienten kränker machte, als sie gewesen waren.
Gegen elf rückten drei Herren in grauen Anzügen mit Sonnenbrillen in den Tauben Spitz ein. Ihnen folgte unser schicker neuer Ministerpräsident in Begleitung eines schwergewichtigen Mittsechzigers in rotem Smokingjackett und einer blondierten Dame, die geschminkt war wie achtzig, aussah wie siebzig und vermutlich höchstens Mitte fünfzig war, denn schwergewichtige Herren in ro ten Smokingjacken umgaben sich nicht mit Frauen, die älter waren als sie.
Ha, endlich wieder daheim im Rhythmus der Stadt mit seinem Gleichklang von Intuition und Zufall! In der älplerischen Zeitlupe hatte zu viel Kalk gerieselt, und ich hatte mir meinen Kurs mühsam erkämpfen müssen. Jetzt spülte es mich wieder durch.
»Ist das nicht …?«, flüsterte Sally und füllte aus zwei Flaschen das Viertelesglas.
»Der Königsmörder höchstpersönlich.«
Denn er hatte im vergangenen Herbst den Sturz des Alten mit dem Schlachtruf Generationenwechsel eingeleitet. Daraufhin hatte die Kultusministerin – katholisch, kinderlos und unverheiratet, die Äbtissin genannt – ihre Schmetterlingsbrille in den Ring geworfen und eine Parteimitgliederbefragung gefordert. Frau for President! Mich hatte der Stuttgarter Anzeiger ausgeguckt, die Äbtissin zu den Regionalkonferenzen zu begleiten. Es wäre meine Chance gewesen, von den Polizeiberichten wegzukommen.
Aber ich hatte es vermasselt. Als die Schlacht der Intriganten begann, die in der Ohrfeige gipfelte, die der Staatsminister des Alten einem Parteifreund verabreichte, steckte ich den Claqueuren des Königsmörders aus Ludwigsburg, dass die Äbtissin lesbisch sei. Ich hatte damit die Sache der Schwulen und Lesben unterstützen wollen. Flugs tauchten vor den Kongresshallen Flugblätter auf, die unter den Rock zielten. Bei der sechsten und letzten Regionalkonferenz antwortete die Äbtissin endlich barsch auf die einem Ortsvorsitzenden von mir in den Mund diktierte Frage nach ihrer Orientierung: »Das ist schäbig, absurd, das ist Rufmord. Mir fehlt die Eignung, Lust und Neigung dazu.« Was sie wiederum die unmaßgebliche Unterstützung von uns Lesben gekostet hatte und mir die Rückstufung in die Niederungen des Polizeireports bescherte, denn ich hatte es angeblich an Distanz vermissen lassen.
»Und der andere?«, fragte Sally. »Der mit der roten Smokingjacke, wer ist das? Den habe ich doch erst kürzlich in den Nachrichten gesehen.«
Es erwies sich als Fehler, dass ich nach meinem Rauswurf aus der Zeitung meinen Fernsehkonsum von Nachrichtensendungen auf Rateshows umgestellt hatte.
Sally nahm das Pils unter dem Zapfhahn weg und stellte es auf das
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