Höhlenwelt-Saga 02 - Leandras Schwur
erstaunliche geistige Flug Hellamis ging weiter und dann erreichten sie unversehens den Palast. Sie glitt durch ein großes Fenster in das Innere des gewaltigen Baus hinein, den die Menschen vor tausend Jahren in den Felspfeiler gehauen hatten, der sich inmitten der Stadt zum Felsenhimmel aufschwang. Sie streifte unbemerkt zwischen den Leuten dahin, die sich dort in den Gängen und Hallen aufhielten, und eilte durch Korridore, Zimmerfluchten und erhabene Säle. Die Reise dauerte an; ihr geistiger Blick durcheilte Orte, die sie zuvor nie gesehen hatte und die doch ganz gewiss im Inneren des Palastes liegen mussten.
»Warum der Palast?«, flüsterte sie.
Leandra antwortete nicht. Hellami spürte den Drachen und Leandras Haut und merkte, dass sich ihr seltsamer Tanz wesentlich verlangsamt hatte. Dann stand sie still, ihre Hände berührten Leandras Hände, und auch der kleine Drache schien zitternd in der Luft zu verharren. Ohne die Augen geöffnet zu haben, glaubte sie, seinen kleinen Leib irgendwo zwischen sich und Leandra spüren zu können. Sie war in einem großen Saal angelangt, in dem viele Männer in einem großen Rund versammelt waren. Unten in der Mitte war ein Kreis aus schweren hölzernen Stühlen aufgebaut, auf denen dreizehn Männer saßen. Ein vierzehnter Stuhl war leer.
»Der Rat!«, flüsterte Leandra.
Hellami nickte schwach. Sie beobachtete die Szene, in der die dreizehn Männer lebhaft debattierten. Langsam kreiste ihr Blick über die Köpfe hinweg, und dann sah sie ihn. Den Schwarzen Mönch.
Ein kalter, unangenehmer Druck legte sich auf ihre Schultern. Sie studierte die abgehärmten, finsteren Züge des Mannes und seine kalten Blicke - kein Zweifel, das war der Mann, der damals in das Zimmer im Hurenhaus gekommen war und Alina mitgenommen hatte.
»Er ist da!«, keuchte Leandra. »Er ist ... Mitglied des Rates!«
Für eine volle Minute herrschte Schweigen. Sie konnten nicht hören, was die Männer sagten, offenbar war diese Magie des Mithörens nicht mächtig. Aber sie spürten, dass es keine freundschaftliche Debatte war. Die Männer zeigten abwechselnd mit anklagenden Fingern aufeinander und hin und wieder warf einer wütend die Arme in die Luft und wandte sich ab. In den Rängen über ihnen saßen Dutzende von anderen Männern, und Hellami hatte das Gefühl, dass manche von ihnen etwas Dunkles, Unnennbares ausstrahlten.
»Sie haben den Rat unterwandert«, hörte sie Leandras leise Stimme. »Die Bruderschaft von Yoor!«
Als Hellami nach dieser langen Zeit jene Worte wieder hörte, zog sich ihr Magen zusammen. Bruderschaft von Yoor. Sie waren damals, nachdem Munuel und seine Magierbrüder in den Hügeln von Südakrania gegen den Dämonen gekämpft hatten, zum ersten Mal ausgesprochen worden, und sie konnte sich lebhaft an jenen Augenblick erinnern. Obwohl sie nicht gewusst hatte, was diese Worte bedeuteten, waren sie wie eine dunkle Drohung über sie hinweggeschwappt.
Für eine Minute standen sie unbewegt da, starrten nur mit ihren geistigen Augen auf den Mann, der bewegungslos inmitten der aufgeregt debattierenden Personen saß. Irgendetwas in seinem Schweigen sagte Hellami, dass er erheblichen Einfluss besaß, mehr, als man dulden durfte, und dass es nur noch eine Frage der Zeit war, bis er die gesamte Macht über den Rat in seinen Händen hielt.
Der Zauber löste sich langsam wieder auf, und nach einer Weile begann Ulfa, sich leise zu bewegen. Die Musik, die für die Zeit ihrer Beobachtung des Rates fast zur Unhörbarkeit verklungen war, lebte wieder auf. Hellami fühlte, dass sie jetzt nicht einfach mit dem Drachentanz aufhören konnte - obwohl ihr vielleicht danach war. Es wäre nicht richtig gewesen. Sie spürte den kleinen Baumdrachen, der unter starker Spannung zu stehen schien, fühlte Leandras Hand und bewegte sich wieder sanft in Harmonie zu der sphärischen Musik. Die bedrückenden Bilder aus dem Palast wurden durch eine Flut lebhafter Farben verdrängt. Der Zauber des Tanzes kehrte zurück. Sie ließ bereitwillig die dunklen Gedanken los und dachte, dass auch später noch Zeit war, sich den Kopf über diese Dinge zu zerbrechen.
Ulfa drängte sich enger an sie und seine Berührung war aufregend und befremdlich zugleich. Hellami war jetzt Leandra näher als zuvor und sie fassten sich an den Händen. Der kleine Drache umschwebte sie in engem Kontakt und Hellami meinte geradezu, seine magischen Kräfte spüren zu können.
»Sagtest du nicht ... du hast eine Verletzung?«, fragte
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