Höhlenwelt-Saga 02 - Leandras Schwur
anderen Platz gerückt. Sie fühlte sich deswegen nicht besser als andere, aber dieser Platz war anders -und sie beanspruchte ihn für sich.
Vielleicht aber war es ganz einfach auch wegen der Genüsse, die sie dabei erlebt hatte. Selbst die schrecklichsten Begebenheiten hatten ihr Momente ganz besonderer Erhabenheit gebracht. Sie erinnerte sich an den furchtbaren Augenblick, da sie Sardin gegenübergestanden hatte, und an die Sekunde jenes Triumphgefühls, als es ihr gelungen war, dieses unbeschreibliche Monstrum zu vernichten. Sie dachte daran, welche furchtbare Angst sie empfunden hatte, als sie damals, in der Senke von Tharul, auf den Rücken des Felsdrachen geklettert war; sie dachte an den mörderischen Start dieses unheimlichen Wesens, bei dem Kräfte aufgetreten waren, die sie, bildlich gesprochen, in zwei Teile hätten zerreißen können. Aber dann war sie geflogen. Bis heute hatte sie keine Worte finden können, jemandem dieses Gefühl beschreiben zu können, auf dem Rücken eines so unfassbar starken Geschöpfes in der Höhe von mehreren Meilen durch die unglaublich schöne Landschaft der Felspfeiler zu gleiten. Und dann erinnerte sie sich noch an die schreckliche Nacht in Bor Akramoria, als sie dem »echten« Ulfa begegnet war - und die Augenblicke heißer Leidenschaft, die sie nur wenige Stunden später mit Victor verbracht hatte.
Sie lächelte bitter, als ihr klar wurde, dass ihr das Schicksal für jeden Schlag, den sie hatte aushalten müssen, auch ein seltsames Geschenk des Glücks, der Freundschaft oder des Genusses beschert hatte.
Sie seufzte tief und sog die Nähe und Wärme Hellamis in sich auf. Der Frühling war noch nicht allzu weit fortgeschritten und trotz der warmen Tage wurde es nachts noch immer empfindlich kühl. Aber sie lagen, ähnlich wie damals in dem kleinen Tal nach ihrer Flucht aus Savalgor, unter ihren Decken und Kleidern und hatten sich gegenseitig in der Nacht gewärmt. Hellamis Haut fühlte sich seidig und warm an und Leandra wäre am liebsten gar nicht aufgestanden. Aber schließlich obsiegte das Bewusstsein über die noch immer gefährliche Lage, in der sie sich befanden, und Leandra wand sich aus Hellamis Umarmung und erhob sich. Auf der Lichtung war es hell geworden.
Fast provokativ stand sie in ihrer Nacktheit da und bot einen unübersehbaren Anblick für jeden, die sie verfolgen, beobachten oder ihr sonst irgendwie nachstellen mochte.
Und plötzlich verlangte es sie nach einem Kampf.
Ja, ein Kampf - Schwert gegen Schwert oder Magie gegen Magie, das wäre ihr jetzt recht gewesen. Sie verfluchte sich selbst für ihr unnormales Dasein und hätte am liebsten einen angriffslustigen Schrei in Richtung von Angadoor ausgestoßen, um die niederträchtigen Kerle hierher zu rufen und sich ihnen mit aller Verwegenheit zu stellen.
Sie wusste sehr gut, dass sie inzwischen gar nicht mehr so hilflos als Magierin war wie damals noch -nein, beileibe nicht. Vielleicht besaß sie sogar die Macht, dieses dreckige Dutzend Kerle niederzuringen, selbst wenn sich ein geübter Magier unter ihnen befand.
»Leandra ... was ist?«
Leandra seufzte und ließ sich niedersinken. »Ich glaube, ich werde langsam ein bisschen verrückt«, sagte sie mit einem schiefen Grinsen.
Hellami hatte sich zum Sitzen aufgerichtet und wischte sich mit dem Handrücken den Schlaf aus den Augen.
»Was ist denn los?«
Leandra schüttelte nur den Kopf. »Nichts. Ich bin nur ... etwas durcheinander. Hör mal ...«
»Ja?«
»Was war mit dir gestern? Warum hat dich ... nun, das mit Victor ... so sehr ... ?«
Nun sah Hellami bedrückt zu Boden. »Nicht jetzt«, sagte sie leise. »Ich ... muss erst nachdenken. Ich erzähle es dir dann.«
Leandra zuckte die Schultern - es blieb ihr nichts übrig, als es dabei bewenden zu lassen.
Sie machte sich daran, ihre Sachen anzuziehen und den Rest in den Rucksack zu stopfen. Als sie fertig war, spürte sie Hellamis Hand auf ihrer Schulter. Hellami war ebenfalls fertig angezogen.
»Wohin gehen wir nun? Durch die Wälder - Richtung Savalgor?«
Leandra schüttelte den Kopf. »Nein. Jedenfalls -nicht gleich. Es gibt da noch jemanden, den wir aufsuchen müssen.« »So? Wen denn?«
Leandra zurrte ihren Rucksack zusammen und richtete sich auf. Sie seufzte. »Es ist ... nun, ein alter Freund von Munuel. Ein Handwerker und Schmied. Er wohnt weiter südlich, dort, wo der Iser in die Morne fließt, am Fuße eines großen Pfeilers. Ziemlich abgelegen. Ich habe ihn einmal besucht, als
Weitere Kostenlose Bücher