Höhlenwelt-Saga 03 - Der dunkle Pakt
schien ihre Grobheit gar nicht zu bemerken. Er starrte mit kugelrunden Augen und hängendem Unterkiefer den Drachen an, obgleich er es gewesen war, der die Idee aufgebracht hatte, mit einem Drachen von hier zu fliehen. Nun aber, da er offenbar zum ersten Mal in seinem Leben einem leibhaftigen Exemplar dieser Gattung direkt gegenüberstand, verlor er beinahe die Fassung. Sie fragte sich, ob der Hochmeister gewusst hatte, dass Sturmdrachen - jene Art, die sie hier eigentlich erwartet hatten - sogar noch größer waren als Felsdrachen wie Tirao.
Sie zerrte ihn weiter und hatte alle Mühe, den Primas auf den Rücken des Drachen zu bugsieren. »Der Drache riecht so komisch... und seine Haut ist ganz heiß!«, brachte er zögernd hervor, und das in einer Lage, da sie jeden Augenblick von ihren Verfolgern eingeholt werden konnten. Während Leandra dem Hochmeister noch einen sicheren Platz auf dem Drachenrücken verschaffte, sah sie aus dem Augenwinkel, dass es passiert war: sie waren da! In ebendiesen Sekunden drängten sich mehrere dieser hässlichen Drakken durch den Mauerdurchbruch. Leandra stieß einen Schrei aus. Kurz darauf waren die ersten von ihnen hindurch und erhoben ihre Waffen.
Plötzlich fuhr ein grellweißer Blitz auf sie herab, einer von der Sorte, mit denen Tirao in Unifar auf einen Streich ein halbes Dutzend Dunkelwesen in Fetzen zerrissen hatte. Die Drakken wurden durcheinandergewirbelt wie welkes Laub. Leandra hatte nie eine Befriedigung verspürt, wenn sie einen Gegner hatte sterben sehen, aber diese widerlichen Wesen standen jenseits ihres Mitgefühls. Sie waren zu fremd und zu böse. Als sie in Tiraos reinweißer stygischer Energie verglühten, empfand sie ein Gefühl des Triumphes.
Wir können los!, rief sie ihrem Drachenfreund zu. Aber sei vorsichtig. Mein Begleiter ist ein alter Herr!
Tirao spie zur Sicherheit noch eine zweite Wolke mächtiger stygischer Energien in den Mauerdurchbruch. Dann sprang er in Richtung der Felskante - dorthin, wo es weit senkrecht nach unten ging -, und entfaltete die Schwingen. Augenblicke später ließ er sich fallen.
Es war ein überaus sanfter Start gewesen. Kurz darauf befanden sie sich schon in ruhigem Gleitflug. Ein paar jener seltsamen Drakkengeschosse bollerten über sie hinweg, gingen aber weit ins Leere. Tirao war so klug, zunächst eine abwärts weisende Bahn zu fliegen. Als die Verfolger die Felskante erreichten, um sie unter gezielten Beschuss zu nehmen, waren sie längst in der Dunkelheit verschwunden. Sie waren in Sicherheit.
Hochmeister Jockum saß vor Leandra und zitterte noch immer am ganzen Leib. Sie hielt ihn mit dem linken Arm umschlungen, während sie sich mit der rechten Hand an einer von Tiraos großen Hornzacken festhielt.
Der Drache zischte mit gehörigem Tempo durch die Nacht über Akrania und der Wind zerrte heftig an ihr und dem Primas. Sie hätte ihn mit ein paar Worten beruhigen können, aber sie war viel zu neugierig und wollte unbedingt mit ihrem Drachenfreund reden.
Tirao! Wo, bei den Kräften, kommst du her? Das ist ja... als hättest du genau gewusst, dass wir Hilfe brauchten!
Ich freue mich, dich wieder zu sehen, Leandra!, antwortete er ein wenig förmlicher, wie es die Art der Drachen war. Ja, du hast Recht, ich wusste es. Ulfa hat mich hierher geschickt.
Leandra lächelte verstehend. Ulfa - wer hätte es auch anders sein können? Der rätselhafte, kleine Baumdrache, der ihr damals das Leben gerettet hatte. Es war gut, sagte sie sich, für aussichtslose Situationen einen solchen Freund zu haben - so unheimlich einem das manchmal auch vorkommen mochte.
Mein Freund hier, das ist Hochmeister Jockum, der Primas des Cambrischen Ordens, erklärte sie Tirao wohlgelaunt. Oder sagen wir lieber: der bald wieder im Amt befindliche Primas. Ich hoffe es jedenfalls.
Tirao erwiderte nichts. Leandra fragte: Wo fliegen wir denn nun hin? Bringst du uns zu Ulfa?
Nein, Leandra. Ulfa ist wieder in Bor Akramoria. Wir fliegen nach Hammagor.
Hammagor? Was ist das?
Das ist der Ort, an dem sich dein Freund Victor aufhält...
Victor...? Es war fast ein Schrei, den Leandra ausstieß. Du weißt, wo Victor ist?
Ja, Leandra. Hammagor ist der Geburtsort von Sardin, eine uralte, verlassene Festung. Victor glaubte, dass er dort den Pakt finden könnte, und inzwischen hat uns Ulfa bestätigt, dass das stimmt.
Leandras Herz pochte mit einem Mal ganz wild. Du meinst... das ist der Ort, wohin er floh, als er...? Sie hielt aufgeregt inne und starrte den
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