Höhlenwelt-Saga 03 - Der dunkle Pakt
Gedanken über die Zeit. Über die Ewigkeiten, nach denen diese Berge hier noch genauso wie heute dastehen würden und nach denen er, Leandra und alle anderen längst vergessen sein würden.
Er hatte einmal darüber nachgedacht, ob die Felsen noch da sein würden, wenn es niemanden mehr gab, der sie ansehen konnte. In tausend Jahren vielleicht oder gar in einer Million - zugegebenermaßen eine Zahl, mit der er nicht viel anfangen konnte. Die Felsen waren tot und ohne Leben, sie würden nur einfach da sein. Aber wenn es niemanden mehr gab, der sie ansehen und irgendetwas dabei empfinden konnte, dann war es eigentlich egal, ob sie tatsächlich noch existierten oder nicht. Man hätte sagen können, dass die Felsen in dem Augenblick zu bestehen aufhörten, da der letzte mögliche Betrachter starb.
Victor lächelte unwillkürlich. Er mochte solche verrückten Gedanken. Solche Momente, in denen man die Muße hatte, sich mit den fernsten und abwegigsten Ideen zu beschäftigen; mit Ideen, die tagsüber, in der realen Welt, keinen vernünftigen Sinn ergaben. Aber nachts, wo er mit sich und der Welt ganz allein war, brachten sie ihm eine ganz besondere Ruhe. Er spürte, dass die Welt aus so viel mehr bestand als nur dem eigenen kleinen Ich und den alltäglichen Sorgen. Dass die Welt etwas wirklich Großes und Gewaltiges war und dass Ehrfurcht eigentlich ein schönes Gefühl war.
So saß er noch Stunden da, starrte in die Dunkelheit hinaus und dachte einfach nur nach. Vielerlei ging ihm durch den Kopf, aber er versuchte dabei, die Gedanken an die Drakken, die Bruderschaft und all die Gefahren zu meiden. Er wollte über schöne Dinge nachdenken. Über Leandra, die Schönheit dieser Welt und über Tirao, dessen mächtige Kontur sich unweit von ihm abzeichnete, mit langsam sich hebenden und senkenden Flanken. Quendras schnarchte leise, von Roya war nicht der leiseste Mucks zu vernehmen. Die Ruhe und der Frieden dieser Stunden taten ihm gut.
Als die Morgendämmerung kam und die ersten rotgoldenen Lichtstrahlen durch die Sonnenfenster auf die Bergwelt fielen, ergab sich ein Spiel aus Licht und Schatten, das ihn zu wieder neuen Gedanken verleitete. Früher, als er noch ein Vagabund gewesen war - war er das nicht heute noch? -, hatte er mitunter Geschichten und Gedichte geschrieben. Jetzt verspürte er große Lust, wieder nach Papier und Federkiel zu greifen. Er beobachtete die schrägen Sonnenstrahlen, die über die schneebedeckten Gipfel fielen und dann immer weiter zu ihm herabkrochen. Als sich seine Freunde unter ihren Decken zu regen begannen und Tirao den Kopf hob, hatte er das großartige Gefühl, während der Stunden seiner Wache etwas zutiefst Befriedigendes erlebt zu haben.
Irgendwann tappte Quendras heran und ließ sich neben ihm nieder. »Schön, was?«, sagte er und nickte in Richtung des tiefen Tales, das sich in warmen Farben vor ihnen auftat.
Victor lächelte und nickte zurück. Richtig, Quendras musste Ähnliches heute Nacht erlebt haben. Der knurrige Bruderschaftler, der überraschenderweise doch eine Seele zu besitzen schien, hatte sich in den letzten Tagen als recht umgänglich erwiesen. Doch Victor war sich noch immer nicht ganz sicher über ihn.
»Denkst du wirklich, du wirst den Kryptus entschlüsseln können?«, fragte er leise.
Quendras nickte. »Ja, ich denke schon. Kannst du ein Geheimnis für dich behalten?«
»Ein Geheimnis?«
»Kannst du?«, fragte Quendras fordernd.
Victor zuckte die Schultern. »Ich glaube schon.«
»Auch vor Leandra und allen anderen?«
Victor rückte herum. »Nun machst du's aber spannend«, sagte er. »Also gut, ich verspreche es. Was ist denn?«
Quendras studierte ihn für eine Weile. »Munuel«, sagte er dann.
Victor richtete sich unwillkürlich auf und ein heißer Schauer fuhr seinen Rücken hinab. Quendras brauchte gar nicht weiterzureden. Victor wusste sofort, was das bedeutete.
»Er lebt!«, sagte er leise. »Munuel lebt! Hab ich Recht?«
Quendras nickte.
»Verdammt will ich sein!«, stieß er hervor. Am liebsten wäre er aufgesprungen und hätte diese Nachricht, so unglaublich sie auch war, in das riesige Tal hinab geschrien. Munuel! Sein alter Kampfgenosse, mit dem er damals nach Unifar gezogen war. Leandras Meister und Mentor. Und wohl einer der mächtigsten Magier, die es gab. Ein Freund, wie man ihn nur selten im Leben traf. Victor verspürte Lust, die ganze Geschichte, die ihm Quendras nun erzählen würde, selbst zu erraten. »Munuel hat Unifar doch
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