Höhlenwelt-Saga 03 - Der dunkle Pakt
tot.«
Leandra schluckte. »Tot?«, flüsterte sie hinab. »Wie meinst du das?«
Yos Stimme hörte sich immer gequälter an. »Ich stecke hier in einer Röhre, die ist enger als die verdammte Muschi meiner Mutter. Wenn du den Steinblock über mir nicht hochziehen kannst, werd ich abkratzen wie eine Kanalratte.«
Ja, das war Yo. Die Sprache eines Ganovenmädchens aus den untersten Schichten der Savalgorer Gesellschaft. Trotzdem war sie eine gute, verlässliche Freundin. Leandra war klar, dass sie durchaus mehr als einen Versuch haben würde. Sie konnte selbst hinabgreifen und das Querholz wieder verkanten. Yos Worte bedeuteten, dass es ihr dort unten ziemlich dreckig gehen musste.
Leandra beeilte sich. Ohne ein weiteres Wort tastete sie hinab und fand gleich den Holzpflock am Ende des Seils. Sie verkantete ihn quer unter dem Loch, während ihr langsam klar wurde, dass sie nun einen Steinblock von gut zwei Handbreit Dicke hochhieven musste. Er maß beinahe eine Elle im Quadrat; Überschlägig war das mindestens ihr eigenes Körpergewicht, wahrscheinlich aber mehr. Sie machte sich an die Arbeit.
Noch einmal überzeugte sie sich, ob draußen im Gang auch niemand war. Dann kehrte sie zurück und baute ihre Pritsche als Sichtschutz auf. Kam jemand, dann würde sie behaupten, mit der Pritsche ein wenig im Licht des Fensterchens schlafen zu wollen. Sie umwickelte die Hände mit einem Teil des Lakens, schlang dann das Seil darum und stellte sich spreizbeinig über den Bodenquader. Mit aller Macht zog sie an.
Es klappte schon beim ersten Mal.
Und das war ein Glück, denn sie merkte, dass sie dabei schon das meiste ihrer Kraft verbrauchte. Der Steinblock war mörderisch schwer, aber sie erlaubte sich nicht, nachzulassen. Je höher er kam, desto besser ging es, denn Yo hatte damit die Bewegungsfreiheit, von unten nachzudrücken. Dennoch war es womöglich der heftigste Einsatz roher körperlicher Kraft, den Leandra in ihrem ganzen Leben vollbracht hatte.
Einen angsterfüllten Augenblick, in dem es hässlich knirschte, dauerte es noch, bis sie mit vereinten Kräften den Block seitlich auf den Boden geschoben hatten. Möglich, dass die Wachen das mitbekommen hatten.
Leandra ließ sich schnell auf die Pritsche niedersinken, und tatsächlich bemerkte sie kurz darauf, wie sich das Lichtquadrat im Fenster verdunkelte, als ein Wachmann kurz nach dem Rechten sah. Ihre Schläfen pochten und alles drehte sich vor ihren Augen, da sie sich nach der Anstrengung so schnell niedergelegt hatte. Sie kämpfte mit einem heftigen Schwindelgefühl und rang nach Luft. Dann war der Wächter fort, die Pritsche hatte das Loch verdeckt. Leandra richtete sich keuchend auf.
Von unten her hörte sie leises Schnaufen.
Yo war in dem Loch geblieben; jetzt, da der Steinquader weg war, schien es ihr besser zu gehen. Leandra wartete noch ein paar Augenblicke, dann wälzte sie sich von ihrer Pritsche herunter und kauerte auf allen vieren über dem Loch.
Im schwachen Licht sah sie, dass Yo seltsam glänzte. Dann erkannte sie, dass Yo gar nichts anhatte. Verwundert streckte sie den Arm nach unten, um Yo aus dem engen Loch heraufzuhelfen.
Yos Hand war glitschig, sie rutschte zweimal ab. Dann war sie aus dem Loch heraus, und Leandra brachte sie in Sicherheit, an eine Stelle im Verlies, die hinter einer kleinen Ecke lag und in die man von der Tür aus nicht einsehen konnte. Yo keuchte und zitterte.
Vorsichtig half ihr Leandra, sich niederzusetzen. Yo war kalt und glitschig wie eine Bachkröte; sie war verkrampft und schien völlig entnervt zu sein. Überall auf ihrer Haut waren Kratzer, Schrammen und blau angelaufene Stellen. Leandra eilte zu ihrer Pritsche, holte die Wolldecke und wickelte Yo darin ein. Sie setzte sich zu der jungen Diebin, die sie damals so mutig mit nach Torgard begleitet hatte, und nahm sie fest in die Arme.
»Du meine Güte«, flüsterte Leandra, »du bist ja völlig erledigt!«
Yo atmete schwer und sagte nichts. Leandra ließ ihr Zeit. Sie registrierte, dass unter der Decke, in die Yo eingewickelt war, ein weiteres Seil hervorschaute und über den Boden verlief. Es verschwand in dem Loch.
»Ich dachte schon, ich muss da unten krepieren«, flüsterte Yo.
»Krepieren?«
Yo schüttelte den Kopf. Es war offensichtlich, dass der Weg durch diese Röhre sie den Großteil ihrer Nerven gekostet hatte. Sie brauchte eine Weile, ehe sie weitersprechen konnte. Noch immer zitterte sie am ganzen Leib. »So was hab ich noch nie durchgemacht«,
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