Höhlenwelt-Saga 4 - Das magische Siegel
kenne dich, Mädchen!«, brummte er wieder, riss seinem
Kumpan die Lampe aus der Hand und hielt sie Alina vors Gesicht.
Ihr erster Impuls war, den Kopf abzuwenden, damit er sie nicht
erkannte, aber ihre Wut loderte ihr wie Feuer im Leib. Dieses Mal
würde sie sich wehren!
Sie würde diesem verrotteten Dreckskerl ins Gesicht springen
und ihm die Augen auskratzen, und wenn dabei alle Drakken von
Savalgor kamen und die Lagerhalle in Stücke schossen! Es war
ihr egal.
»Ja, ich kenne dich auch, du Scheißkerl!«, presste sie hervor. Es
kam selten vor, dass sie solche Worte in den Mund nahm, denn
ihre Mutter war eine Frau aus höheren Kreisen gewesen, wenn
auch verarmt. Nun aber suchte Alina förmlich nach Ausdrücken,
um diesem widerlichen Kerl ihren Hass gebührend entgegenschleudern zu können.
»Reg dich ab, Schätzchen!«, knurrte er. »Du bist nicht die Einzige, die ich je verkauft und wieder gesehen habe! Was willst
du?«
Alinas Herz wummerte von innen gegen ihre Brust.
Guldor hatte sie nicht wirklich wiedererkannt.
Nicht als Alina, nunmehr die Shaba und Herrscherin von Akrania.
»Sollten wir nicht lieber erst Mal von hier verschwinden, Boss?«,
war nun eine dritte Stimme zu hören. Alina glaubte, sie ebenfalls
schon einmal gehört zu haben.
»Ja, stimmt auch wieder…«, brummte Guldor. Er ließ die Öllampe sinken. »Komm mit, Schätzchen.
Wir gehen an einen ruhigeren Ort!«
Alina blieb stehen. Sie hatte wenig Lust, ihm zu folgen. Irgendwie waren ihr sogar die Drakken lieber als dieser Kerl. Sie starrte
Guldor voller Angst hinterher. Vielleicht, versuchte sie sich Hoffnung zu machen, hatte ja der Drakkenüberfall selbst ihn auf die
Seite der Guten gespült.
»Komm, Kleine!«, sagte die dritte Stimme. Sie gehörte zu einem untersetzten Mann, der ziemlich dick war; sie hatte einigermaßen freundlich geklungen. Sie ließ sich von dieser angedeuteten Gutartigkeit überrumpeln und folgte dem Mann, der sie nun
am Ellbogen nahm.
Im nächsten Augenblick schalt sie sich schon wieder für ihre
Dummheit. Während sie den dreien zwischen Kistenstapeln hindurch folgte, wurde ihr bewusst, dass sie ständig auf der Suche
nach dem Guten in den Menschen war und prompt auf jede winzige Freundlichkeit hereinfiel. Sie hatte manchmal sogar mit
Chast oder einem seiner Leute Mitleid empfunden. Bei Kerlen wie
Guldor konnte ihr diese Eigenschaft das Genick brechen. Sie erreichten einen schwarzen Kellerabgang, stiegen feuchte Treppenstufen hinab und verschwanden durch eine morsche Holztür in die
Tiefe. Der Weg führte durch weitere Türen und ein paar kurze
Gänge in unerfindliche Gefilde, und Alina wurde plötzlich klar,
warum die Drakken so brutal gegen Meuterer vorgingen: Eine
Stadt wie Savalgor bot, einmal abgesehen von den Katakomben,
zahllose Schlupfwinkel. Die Anzahl derer, die geflohen waren,
musste zurzeit noch immer recht hoch sein. Es würde vielleicht
Wochen dauern, ehe die Drakken alle Widerständler gefangen
oder ausgemerzt hatten.
»So, Schätzchen!«, knurrte Guldor und wandte sich zu ihr um.
»Was willst du nun?«
Sie hatte gar nicht recht mitbekommen, dass sie ihr vorläufiges
Ziel bereits erreicht hatten – einen niedrigen, aus fauligen
schwarzen Ziegelsteinen gemauerten Raum, uralt offenbar und
tief unter der Hafenmole gelegen. Im Licht der inzwischen heller
gestellten Öllampe sah sie, dass es hier feucht und modrig war
und der Boden nass. Alter Dreck und Abfall lagen herum – ein
Raum, der lange vergessen war und seit Ewigkeiten nicht mehr
genutzt wurde. Sie war abgestoßen vom Schmutz und der Hässlichkeit dieses Ortes. Die Geheimgänge im Palast waren in der Tat
palastartig gegen das hier.
Sie wandte sich Guldor zu. »Ich…« Sie verstummte.
Das Gesicht dieses Kerls jagte ihr Schauer über den Rücken. Er
war sehr groß und sehr fett; obwohl Alina hoch gewachsen war,
überragte der Kerl sie noch um eine Haupteslänge und wog, grob
geschätzt, das Drei- bis Vierfache. Seine teuren Kleider waren
noch immer recht sauber, aber das würde sich in ein paar Tagen
geändert haben. Jetzt schon sprossen die Stoppeln eines hässlichen grauweißen Bartes auf seinem fleckigen Doppelkinn und
seinem fetten Hals. Seine krausen langen Haare ließen bereits
ahnen, wie verfilzt und strähnig sie in Kürze an seinem massigen
Schädel herabhängen würden, und sein hässliches Maul zog beim
Sprechen Speichelfäden. Er war atemberaubend abstoßend. Sie
trat einen Schritt zurück und atmete tief durch. Dann
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