Höhlenwelt-Saga 4 - Das magische Siegel
dieser Welle ritt das Schiff. Da sie in jeder
Sekunde viele Millionen Mal neu erzeugt wurde, konnten sie damit
phantastische Geschwindigkeiten erreichen. Sogar solche, die
jenseits dieser höchsten Geschwindigkeit lägen, von der er ihr
bereits berichtet hatte. Leandra sagte das alles nicht allzu viel.
Dann erreichten sie eine Aussichtsplattform, und als Leandra sah,
was darunter lag, wurde ihr beinahe übel.
Sie befanden sich, wie Rasnor ihr erklärte, in der riesigen
Längsröhre, die den größten Teil des Mutterschiffs ausmachte. Sie
war innen vollständig hohl und von blendender und gleichermaßen dunstiger Helligkeit erfüllt; ihr Durchmesser musste vier oder
fünf Meilen betragen. Sie hatte beinahe Dimensionen wie das Innere der Höhlenwelt, und in der Tat war es auch so, dass in ihr
eine Welt existierte, eine offenbar bewohnbare Welt mit Seen,
Flüssen und Wäldern. Nur verhielt es sich hier so, dass alle Teile,
und nicht nur der Boden, mit dieser Landschaft bedeckt waren.
Auch die Decke und die Seiten – einfach jeder Flecken auf der
Innenfläche der Röhre. Das verwirrte Leandras Sinne derartig,
dass sie sich auf den Hintern fallen lassen musste und erst einmal
die Augen schloss. Ihr schwindelte.
»Die Röhre dreht sich auch, genau wie die großen Kugeln an der
Außenseite«, flüsterte ihr Rasnor zu, der sich neben ihr niedergesetzt hatte. »Da in der Mitte, dieser helle Strahl, siehst du das?«
Leandra öffnete vorsichtig die Augen. Nicht zu weit, um Herr ihrer
Sinne zu bleiben. Sie sah einen dünnen, weiß gleißenden Strahl,
der die Mitte der Röhre in ihrer Längsachse durchlief und in der
Ferne verschwand. Sie schloss die Augen wieder und nickte.
»Das ist ihre Sonne«, erklärte Rasnor, der offenbar nicht vorhatte, auf ihr Unwohlsein Rücksicht zu nehmen. »Ein Strahl unglaublich heißer Energie. Er ist tatsächlich so heiß wie die Sonne.
Weißt du, wie dick er ist?«
Leandra stöhnte. Rasnor schien sie mit seinem Wissen vollpumpen zu wollen. Doch sie konnte einfach nicht mehr. Sie stöhnte
leise und schüttelte den Kopf. »Wie dick? Nein. Woher soll ich das
wissen?«
»Dünner als ein Haar von dir!« Er lachte auf. Als sie mit einem
Seitenblick nach ihm sah, saß er da, die Unterarme auf seine angewinkelten Knie gestützt, und starrte kopfschüttelnd in die Ferne.
Mit einem Mal erschien es Leandra, als empfände Rasnor nicht
nur Begeisterung. Er war in dieser Welt gleichermaßen auch verloren. Er wusste so viel über die Drakken, bewunderte sie offenbar – aber er hatte hier keine wirklichen Freunde und es würde
hier auch keine wahren menschlichen Vergnügungen für ihn geben. Er war sehr intelligent, wie Leandra langsam klar wurde,
aber er war vom Weg abgekommen. Er sehnte sich nach einem
Wesen in dieser Welt, mit dem er die Dinge, die ihn begeisterten,
teilen konnte. Nein, er wollte nicht nur einen Menschen, sondern
er wollte sogar eine Frau.
Eine verlorene Seele, dachte sie. So wie er veranlagt war, würde er womöglich die Einsamkeit, zu der er verdammt war, in etwas Schreckliches ummünzen. Vielleicht würde er zur schlimmsten Geißel der Höhlenwelt werden, die sie je zu dulden hatte,
Sardin und Chast mit eingeschlossen.
Er deutete in die Röhre hinab und seufzte bitter.
»Dort leben sie, die Drakken«, sagte er. »Du würdest dich wundern, wie. Sie leben nicht in Städten, sondern in feuchten Felsspalten. Nackt und ohne Besitz. In Stämmen, wie primitive Rudel
von Tieren.«
Leandra nickte. Nun wusste sie, warum er gerade hier solche
Schwermut empfand. Hier war der Ort, an dem der Unterschied
zwischen ihm und seinen Freunden am deutlichsten zutage trat.
Wollte er je eine Freundschaft zwischen sich und einem dieser
Drakken aufbauen, müsste er die Bereitschaft aufbringen, nackt
mit ihnen in feuchten Felsspalten zu hausen. Diese Vorstellung
war grotesk.
»Ich hasse diese Wesen«, sagte er leise, während er weiterhin
geradeaus starrte. »Wenn ich könnte, würde ich diesen Lichtstrahl aufdrehen und sie alle damit verbrennen!«
Leandra sah ihn nur von der Seite her an. Ihr Herz pochte
dumpf. Irgendetwas sagte ihr, dass eine furchtbare Gefahr von
diesem Rasnor ausging, und sie allein hatte die Macht, sie einzudämmen – nur sie, niemand sonst. Dazu aber würde sie seine
Freundin werden müssen. Und das konnte sie nicht. Das war ihr
völlig unmöglich. Nicht, nachdem er Cathryn entführt, ihr dieses
Halsband umgelegt und Meister Fujima getötet hatte. Ganz
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