Höhlenwelt-Saga 4 - Das magische Siegel
erschienen und das Abbild
eines Kopfes, das vermutlich den Kerl darstellte.
»Serakis, Feldarbeiter aus Okanaar«, stellte der Drakken fest.
»Das ist deine dritte Verwarnung.«
»Meine dritte…?«, stammelte der Mann und hob abwehrend die
Arme. »Nein, ich, äh…« Der Verwalter blickte kurz den neben ihm
stehenden Drakkensoldaten an, sein schmallippiger Mund formte
irgendein Wort. Der Soldat hob ohne das geringste Zögern die
Waffe und schoss. Ein grauer, wabernder Nebelball von der Größe
einer Melone löste sich wummernd aus der Spitze der Waffe,
zischte auf Serakis los und traf ihn mitten in den Bauch. Er wurde
von der Wucht des seltsamen Geschosses erfasst und zurückgeschleudert, krachte gegen die Hallenwand und sackte dort leblos
und mit gebrochenem Blick zusammen. Er hatte nicht einmal einen Schrei ausgestoßen.
Alina schrie auf und stolperte mehrere Schritte zurück. Zugleich
fuhr ein Aufstöhnen durch die gesamte Halle. Es war eine Hinrichtung gewesen, wie sie gnadenloser nicht hätte sein können. Ohne
die Möglichkeit zur Verteidigung oder dazu, die eigene Sicht des
Vorfalls zu äußern. Außer einem leicht scharfen Geruch in der Luft
wies nichts mehr darauf hin; eine saubere Tötung, kein Blut, keine Leichenteile, nichts anderes sonst, was zerstört worden wäre.
Mit am schlimmsten war die Geschwindigkeit, mit der anschließend zwei andere Drakken mit einem gelben, sechseckigen Behälter auftauchten, die Leiche hineinverfrachteten und dann wieder abzogen. Kaum eine Minute später war außer dem Geruch
von dem Vorfall nichts mehr wahrzunehmen.
Alina stand da und zitterte. Die Sache mit den drei Verwarnungen hatte sie nicht gewusst, und hätte sie es, wäre dieser Mann
jetzt vielleicht noch am Leben. Dann hätte sie nicht geschrien und
damit die Aufmerksamkeit auf sich gelenkt. Ein unauffälliger Stoß
mit dem Knie an die richtige Stelle hätte vielleicht eine ebenso
große Wirkung erzielt – und Serakis würde noch leben. Ihr wurde
schlecht.
Der Verwalter trat auf sie zu und hob seine Platte.
Sie sah rote Lichter funkeln und hörte ein Piepsen. »Gulda,
Händlerin aus Savalgor«, sagte er kalt. »Erste Verwarnung.« Damit ließ er sie stehen, winkte dem Drakkensoldaten und verließ
den Ort des Geschehens.
*
Der Rest des Arbeitstages verging wie im Traum – einem bösen
Traum.
Alina hatte das Gefühl, dass alle sie anstarrten.
Später, nach der dritten Arbeitsphase, kam Renash im Umkleideraum zu ihr und sagte, dass es ihm Leid täte. Er habe nicht
geahnt, dass sie nichts von der Verwarnungsregel wusste. Irgendwie habe man offenbar vergessen, ihr das zu sagen – es sei
auch nicht unbedingt seine Aufgabe gewesen. Dann erklärte er
ihr, es sei ein ungeschriebenes Gesetz unter den Menschen, sich
so unauffällig wie möglich zu verhalten, um solche Verwarnungen
zu vermeiden. Selbst wenn man als Frau von jemandem angefasst wurde.
Vergessen!
Alina hatte Lust, Renash zu ohrfeigen. Aber sie unterdrückte
den Impuls und hob unauffällig den Blick, ob nicht irgendwo ein
Drakken stand, der ihre Absicht erahnen und ihr vielleicht eine
zweite Verwarnung hätte verpassen können.
»Es gibt natürlich Dinge, die keinesfalls zu dulden sind«, erläuterte Renash ernst. »Es gab eine Vergewaltigung, die wurde natürlich sofort gemeldet. Der schuldige Mann wurde auf der Stelle
getötet.«
»Wie schön!«, spottete Alina mit Tränen in den Augen. »Wie
schön, dass ihr so verantwortungsbewusst seid, euch eure eigene
Gerechtigkeit zusammenzubasteln – nach den Maßgaben der
Drakken!« Sie wusste, dass ihre Worte wenig Sinn machten, denn
diese Menschen versuchten nur irgendwie, mit der neuen Situation fertig zu werden. Es gab keinen Gesetz gebenden Rat aus alten, weisen Männern, die den Sinn oder Unsinn von Regeln
durchdiskutierten. Es waren Gesetze, die in den Stollen zwischen
den Woloditbrocken und im Gedränge der Essenshalle entstanden
und alles andere als durchdacht waren. Alina spürte immer mehr,
wie perfide der Druck der Drakken eigentlich war und wie gnadenlos sie die Möglichkeiten ihrer Macht ausspielten. Sklaverei
nach modernsten Erkenntnissen, dachte sie bitter. Sie ließ Renash stehen und begab sich zu Cleas, der in den letzten Stunden
so etwas wie ein väterliches Mitgefühl für sie entwickelt hatte.
»Ich bin müde«, sagte sie seufzend zu ihm und berührte ihn am
Oberarm. »Unendlich müde. Bevor sie mich eingefangen haben,
war ich schon einen halben Tag unterwegs. Dann der
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