Höhlenwelt-Saga 4 - Das magische Siegel
Zeit
für ein echtes Problem.
»Ein Wagnis?«, fragte sie sorgenvoll.
»Es ist nicht wirklich gefährlich, aber… nun, es erfordert ein bisschen Mut. Komm mit.«
Ihr wurde unbehaglich zumute. Cleas hatte sie den ganzen Tag
lang zielstrebig in diese Richtung geführt, und sie ahnte, dass es
hier etwas besonderes geben müsste – ein Geheimnis. Dass er
darüber jedoch nicht hatte sprechen wollen, flößte ihr dunkle Vorahnungen ein. Er stieg am felsigen Flussufer über einen kaum
erkennbaren Pfad voran.
Vor ihnen schien es so etwas wie einen Kletterpfad an der Kante
des Wasserfalls hinauf zu geben. Das Wasser rauschte mit Macht
herab und in ihrer Umgebung wurde es feucht.
»Früher«, rief er ihr über die Schulter zu, »war die Magie in
mancherlei Disziplinen höher entwickelt als heute.«
»Früher?«, rief sie zurück. »Wann – früher?«
Er blieb kurz stehen. »Vor zweitausend Jahren.«
Cleas ging weiter, dafür aber blieb Alina stehen.
Vor zweitausend Jahren! Offenbar kam sie von dieser Zeit nicht
los. Jedes zweite Ding, das ihr wiederfuhr, hatte mit dieser Ära zu
tun, es war beinahe wie ein Fluch. Ein Fluch deswegen, weil es
auch die Zeit war, in der das Unheil mit den Drakken begonnen
hatte.
Sie beeilte sich, ihm zu folgen. »Das klingt«, rief sie ihm hinterher, »als hättest du irgendeine zweitausend Jahre alte Magie für
mich, mit der du mich an mein Ziel katapultieren willst!«
Er blieb wieder stehen und strahlte sie an. »Da hast du vollkommen Recht!«, sagte er.
Das Spiel wiederholte sich. Er lief weiter, während sie betroffen
stehen blieb.
Magie war vor ihren Augen bisher hauptsächlich als Blitz und
Donner in Erscheinung getreten; als eine Methode, sich auf sehr
gründliche Weise gegenseitig zu vernichten. Mit Schaudern dachte sie an den verkohlten Leichnam des Duuma-Magiers, der sein
Leben durch Cleas’ Macht ausgehaucht hatte. Es war ihr wenig
geheuer, nun ihr Leben einer Magie anvertrauen zu müssen – was
auch immer Cleas im Sinn hatte. Besonders nicht einer zweitausend Jahre alten Magie. In ihrer Vorstellung war die damalige Zeit
brutal und blutrünstig gewesen, und als ihr Höhepunkt war das
Dunkle Zeitalter angebrochen.
Sie setzte sich wieder in Bewegung. Es ging über nassen, glitschigen Fels aufwärts, und als sie endlich oben ankam, war sie
halb durchnässt. Ächzend stemmte sie sich über den letzten Felsbrocken hinweg. Sie ging noch ein paar Schritte…
… und dann war es, als hätte sie plötzlich einen Schritt in ein
Zauberreich getan. Wie durch Magie verebbte das dunkle Dröhnen des Wasserfalls hinter ihr. Vor ihren Blicken eröffnete sich ein
riesiger Felsenkessel mit einem weiten, grünen See in einer Welt
fast vollkommener Stille. Das Rauschen des Wasserfalls schallte
nur noch wie eine ferne Erinnerung an eine längst vergangene
Zeit herauf. Cleas stand neben ihr und deutete wortlos voraus.
Inmitten des stillen Sees erhob sich eine kleine Insel. Alina hielt
unwillkürlich den Atem an. Die Insel bestand nur aus einem flachen, ockerbraunen Felsen, aber sie hatte drei ganz außergewöhnliche Merkmale, die Alina hier niemals erwartet hatte. Zum
einen stand ein flaches Gebäude auf der Insel, wie ein kleiner,
runder Turm, der sich gar nicht recht erheben will und sich in den
Schutz des Felsenkessels hineinduckt. Die zweite Besonderheit
war eine schmale Brücke, die sich vom Ufer zu der Insel spannte.
Sie besaß zwei Bögen; der erste reckte sich weit über den See,
ehe er sich auf einem winzigen Felsblock im Wasser abstützte;
von dort aus lief ein zweiter, etwas kürzerer Bogen bis zur Insel.
Ihre unschuldige, hell ockerbraune Farbe verlieh der Brücke den
Ausdruck eines bedeutungsvollen, ja fast sakralen Bauwerks, und
dazu kam noch, das sie so schmal und zerbrechlich gebaut war,
dass es wie ein Wunder wirkte, dass sie nicht schon vor langer
Zeit eingebrochen war. Dies war nämlich das dritte besondere
Merkmal dieses Ortes: Er wirkte alt. So uralt und still, dass allein
das Wort Jahrtausende einigermaßen angemessen erschien.
Alina war wie verzaubert. Einen Ort wie diesen hatte sie noch
nie erblickt. Er wirkte wie aus einem Märchen. Sie bemerkte
Cleas’ Seitenblicke, die einen gewissen Stolz auf seine Entdeckung widerspiegelten. »Ich habe noch nie jemanden mit hierher
genommen«, sagte er leise. »Noch nie?« Auch Alina hatte unwillkürlich leise gesprochen. Es lag wohl an diesem besonderen Ort.
»Ja. Er ist uralt, sogar mehr als zweitausend Jahre. Komm
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