Höhlenwelt-Saga 4 - Das magische Siegel
den… »Alina?«
Es war nicht viel mehr als ein Keuchen gewesen, aber es
stammte eindeutig von Cleas. Mit einem Aufstöhnen wälzte sie
sich herum, stemmte sich in die Höhe und fiel dem Magier um
den Hals. Ihre Augen waren voller Tränen der Erleichterung.
Cleas ächzte, ging in die Knie, und Alina mit ihm. Dann erschallte
ein aufgeregtes Kläffen vom Waldrand und Momente später war
auch Benni bei ihr, heftig mit dem Schwanz wedelnd. Aber er
winselte; sein Kopf war gesenkt, die Ohren angelegt. Er schien zu
wissen, dass er als Einziger die Flucht ergriffen hatte. Alina wandte sich um, suchte mit Blicken nach Cleas Gegner – und fand ihn.
Sie stöhnte entsetzt auf.
»Schau nicht hin«, ächzte Cleas, noch immer auf den Knien und
sich den Kopf haltend. »Hätte er gewonnen, würde ich jetzt so
daliegen.« Sie holte tief Luft. »Schon gut. Ich bin langsam einiges
gewöhnt.« Sie setzte ein schiefes Lächeln auf. »Früher dachte ich,
dass eine Shaba nur in Milch und Honig baden und nachmittags
Tee aus zerbrechlichen Tässchen trinken würde.«
Cleas lächelte schwach. »Normale Shabas tun das auch.« Er
verzog das Gesicht.
»Was ist mit dir?«, fragte sie besorgt.
»Die Nachwirkungen«, stöhnte Cleas vor Schmerz.
»Ich habe seit Jahren keine solchen Magien mehr gewirkt.« Er
ließ sich ganz zu Boden sinken und atmete ein paar Mal tief
durch. »Wenn man bei solchen Iterationen nicht konzentriert arbeitet, bekommt man selbst so einiges ab. Ich habe Glück, dass
ich noch lebe.«
»Er war wohl sehr stark, dieser Duuma-Mann«, sagte sie mitfühlend.
Cleas schüttelte den Kopf. »Nein, Alina. Ich fürchte, wir waren
beide nicht sehr gut. Ich bin alles andere als ein Kampfmagier.
Aber zum Glück hat es gereicht.«
Sie wollte noch sagen, dass es für zwei weniger gute Magier
ganz schön gekracht hätte, aber ihre Unruhe wuchs wieder. Sie
mussten fort von hier. In der Flussmitte hob sich das rauchende
Heck des Drakkenschiffs aus dem Wasser, und das würde man
aus der Luft fabelhaft sehen können. Außerdem lagen drei Tote
auf der Wiese.
»Lass uns von hier verschwinden«, sagte sie.
»Möglichst schnell.«
Sie half ihm auf die Beine und zog ihn mit sich zum Waldrand.
Sie schienen beide keine schlimmeren körperlichen Verletzungen
erlitten zu haben, und das war ein großes Glück, sonst wäre ihr
Weg hier tatsächlich zu Ende gewesen. Dafür aber gab es ein anderes Problem, das Alina zunehmend Kummer machte. Sie hatten
Zeit verloren, eine unübersehbare Spur gelegt und der Weg war
angeblich noch immer weit. Wie wollte es Cleas bis zum Abend
zurück nach Saligaan schaffen?
Zwischen den Bäumen angekommen, packten sie ihre Sachen
zusammen und machten sich wieder auf den Weg. »Wo genau
bringst du mich eigentlich hin?«, fragte sie.
28
Das stygische Portal
Am späten Nachmittag erreichten sie einen kleinen Wasserfall,
der, eingeengt zwischen Felswänden, etwa dreißig Ellen zu ihnen
herab in die Tiefe stürzte. Die Rote Ishmar war in dieser Gegend
längst nicht mehr so breit, und der Grund dafür war klar: Hier
gab es keinen Platz für einen breiten Fluss.
Das Gelände hatte sich im Laufe ihrer Wanderung von sanftwelligem Hügelland zu einer schroffen Felslandschaft entwickelt.
Obwohl der Weg bisher recht gangbar gewesen war, hatte Alina
den Eindruck, dass hinter diesem Wasserfall das Ende der Welt
liegen musste. Dort würde es bestenfalls noch einen Trampelpfad
geben; vielleicht ein paar Wildwechsel von Waldböcken oder
Bergziegen, die sich in der Bergwelt verloren. Mehr aber nicht.
Die Ishmar schäumte über Felsschwellen herab, war kaum mehr
hundert Schritt breit, dafür aber mit Sicherheit sehr tief. Links
und rechts türmten sich Felswände auf, überragt von mächtigen
Pfeilern, die sich in dieser Gegend zahlreich gen Himmel reckten.
Sie waren meist schmal und manchmal filigran; die Sonnenfenster weit droben klein, aber zahlreich. All dies war ein typisches
Merkmal des höheren Berglands.
Cleas wandte sich zu ihr um und sah sie mit einem Blick an, der
so etwas wie Befriedigung ausdrückte. Er deutete auf den Wasserfall. »Dahinter ist der Weg zu Ende!«, sagte er. Alina stutzte.
»Zu Ende? Aber… warum führst du mich dann hierher?«
Er zögerte kurz. »Ein Wagnis. Du musst ein Wagnis eingehen.«
Sie holte tief Luft. Seit dem Drakkenüberfall war der Nachmittag
fast zu ruhig verlaufen; sie hatten Glück gehabt und waren von
Verfolgern verschont geblieben. Da wurde es langsam wieder
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