Höhlenwelt-Saga 4 - Das magische Siegel
sie keine Stimme mehr hatte. Cleas stand mit geschlossenen Augen im Raum, während er immer blasser wurde.
Dann fuhr ein Ruck durch sie, und plötzlich hatte sie das Gefühl,
keinen Boden mehr unter den Füßen zu haben.
29
Ramakorum
Benni hatte die Insel beinahe schon erreicht, als sie im Wasser
aufschlug.
Sie hatte ihn aus der Luft bereits ausgemacht, in dem kurzen
Augenblick, in dem sie in der Höhe schwebte, während sie sich an
diesem Ort manifestierte. Dann ging es abwärts. Der Magen
rutschte ihr in den Hals und sie ruderte verzweifelt mit den Armen. Irgendwie schaffte sie es, tatsächlich nach vorn zu kippen,
aber bevor sie sich darüber freuen konnte, schlug sie schon mit
einem mächtigen Platsch auf dem Wasser auf. Sie hatte vergessen, Luft zu holen, war aber geistesgegenwärtig genug, es jetzt
nicht nachholen zu wollen. Sie war seitlich aufgeschlagen und
zum Glück nicht allzu tief ins Wasser eingetaucht. Endlich fand sie
die Orientierung wieder und kämpfte sich in Richtung der hellen
Wasseroberfläche. Japsend brach sie nach oben durch – dann
hatte sie es überstanden. Es war nicht das erste Mal, dass sie
eine solche Reise machte. Chast hatte sie und sich selbst mehrfach mithilfe eines magischen Tricks durch eine namenlose Sphäre an einen anderen Ort versetzt. Allerdings war Chasts Methode
nicht annähernd mit einer so schönen Erscheinung verbunden
gewesen wie Cleas’ Magie. Chast und sie waren durch eine Sphäre des absoluten Chaos gerutscht; durch einen Ort, an dem ein
gesunder Mensch den Verstand verlöre, hielte er sich dort auch
nur eine Minute zu lange auf. Zum Glück aber waren diese Momente so kurz gewesen, dass sie kaum etwas hatte erfassen
können – außer einem beklemmenden Gefühl des Grauens und
der vollkommenen Verlorenheit. Dann wurden sie wieder zurück
in die Welt geholt.
Alina ruderte mit den Armen, bis sie die Insel ins Blickfeld bekam. »Benni!«, schrie sie. »Benni! Komm her! Hier entlang –
nicht zu der Insel!« Sie lag viel näher als das Ufer, und deswegen
war der Hund instinktiv dorthin geschwommen. Dass es jedoch
zwischen dem Ufer und der Insel keine Brücke mehr gab, hatte
sie ebenfalls schon aus der Luft wahrgenommen. Sie wandte sich
dem Ufer zu und begann zu schwimmen. Es war nicht leicht, in
Kleidern und mit einem Rucksack auf dem Rücken vorwärts zu
kommen, und das Wasser war ziemlich kalt.
Während sie sich um gleichmäßige Schwimmzüge bemühte,
nahm sie die Umgebung in Augenschein. Es handelte sich ebenfalls um einen Talkessel mit einem See, allerdings war er wesentlich weitläufiger als der, aus dem sie kam. Die Berge waren hier
höher und teilweise bewaldet, die Stützpfeiler mächtiger und weiter verteilt. Der Fels hatte an diesem Ort eine ganz andere Farbe;
hier herrschten graue und weiße Töne vor, weit im Westen sah
sie schneebedeckte Gipfel zwischen mächtigen Pfeilern hervorschauen. Das Ufer, auf das sie zusteuerte, bestand großenteils
aus Sand; auch dort gab es Bäume, und sie glaubte, so etwas wie
die Mündung eines kleinen Seitenflusses erkennen zu können, der
von Süden her in den Talkessel stieß. Der Hauptarm des Flusses
schien von Westen zu kommen. Endlich kam sie dem Ufer näher
und spürte schließlich Grund unter den Füßen. Ächzend kämpfte
sie sich aus dem Wasser und ließ sich erschöpft auf dem Ufersand
zu Boden sinken. Nach einer Weile kam auch Benni. Er schüttelte
sich einmal kräftig und war bereit für den nächsten Abschnitt ihrer Reise.
Nach einer Verschnaufpause stand Alina auf und sah sich um.
Der Nachmittag war schon fortgeschritten, und da sie müde war,
beschloss sie, sich gleich um ein Lager für die Nacht zu kümmern.
Ihre Kleider waren nass, sie fror, hatte Hunger und musste sich
endlich einmal ausruhen. Cleas hatte ihr eine Dose Glimmpulver
eingepackt und sie fand noch ein Hemd, das halbwegs trocken
war. An der Uferböschung sammelte sie Reisig und hatte bald im
Schutz einiger kleiner Felsen am Ufer ein Feuer entfacht. Gierig
nach Wärme, nährte sie es so sehr, dass sie zeitweilig vor lauter
Hitze die Felsnische verlassen musste. Immerhin bekam sie auf
diese Weise ihre nassen Kleider rasch wieder trocken. Sie hatte
gar nicht bemerkt, dass Benni schon seit einer Weile verschwunden war. Als er kurz vor Einbruch der Dämmerung wiederkam,
schleppte er ein getötetes Waldbock-Kitz an. Zuerst empfand sie
Bedauern für das arme Tier, aber dann überwog ihr Hunger. Sie
lobte den Hund
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