Höhlenwelt-Saga 4 - Das magische Siegel
sie miteinander redeten, angeschrien hatte. Was
sie inzwischen am meisten ärgerte, war die Tatsache, dass er ein
so unsäglicher Kleingeist war. Sie hatte alte Leute erlebt, die um
nichts in der Welt von einer irrigen Meinung oder einem Fehlurteil
abgerückt wären, ganz egal, wie groß die gegenteilige Beweislast
war – und solche Leute hasste sie geradezu. Ganz besonders hinsichtlich der Tatsache, dass man als alter Mensch seinem Lebenswerk gegenüber die Pflicht hatte – jedenfalls empfand Leandra das so –, mit reinem Gewissen von der Bühne des Lebens abzutreten und nicht eine Welt zurückzulassen, die einem Schlechtes nachsagte. Sardin jedoch, wohl der älteste Mensch überhaupt,
schien in dieser Hinsicht alle negativen Höchstleistungen brechen
zu wollen. Er verhielt sich so dumm und unbelehrbar, dass sich
Leandra die Haare hätte raufen können. Dass das Schicksal der
Welt von einem solchen Narren geprägt worden war, empfand sie
als unerträglich. Es wurde wirklich Zeit, dass dieser dumme Gott
abtrat!
Dass Sardin sie wieder einmal hatte belügen wollen, schockierte
sie nicht einmal mehr besonders. Nach einigen Augenblicken der
Wut auf ihn wandte sie sich wieder anderen Gedanken zu, insbesondere der Nachricht, dass Roya und Alina an einer Idee
schmiedeten, etwas gegen die Drakken zu unternehmen. Leandra
hatte nun zwei neue Ziele: Sie wollte Kontakt mit den beiden aufnehmen, und das würde ihr gleichermaßen dabei dienen, Sardin
loszuwerden. Sie hatte ihm gehörig auf den Zahn gefühlt, ob er
sie wieder einmal hatte täuschen wollen, aber diesmal schwor er,
dass es der Wahrheit entsprach: Roya und Alina hatten sich irgendwo im Ramakorum getroffen und heckten etwas aus.
Sie machte sich keine Illusionen – ein plötzlicher Sieg gegen die
Drakken war ausgeschlossen. Aber eine neue Hoffnung hatte sie
beseelt. Ihr war eine verwegene Idee zu einer gemeinsamen
Flucht gekommen. Es würde vielleicht Wochen oder Monate
dauern, denn einen echten Plan hatte sie noch nicht. Doch sie
wusste nun, wie sie neue Hoffnung unter ihre Freunde tragen
konnte, und allein die Idee gab ihr wieder Kraft.
*
Sechs Tage später gab es vierzehn Hunde in Malangoor. Große,
kleine, weiße, braune und schwarze, und sie alle hatten auf einem
Drachen mitfliegen müssen. Das allerdings hatte sich als eine
kuriose Angelegenheit herausgestellt.
Womöglich war seit zweitausend Jahren kein Hund mehr mit einem Drachen in Berührung gekommen, jedenfalls wenn man davon ausging, dass die Hunde bei den Menschen lebten und die
Drachen weit droben unter dem Felsenhimmel. Aber schon vom
ersten Augenblick an zeigte sich, dass es eine höchst erstaunliche
Beziehung zwischen den beiden Rassen gab.
Den ersten Hund fand Alina in der Gegend nördlich von Turliss.
Sie hatte darauf bestanden, selbst fliegen zu dürfen, und war mit
Majana unterwegs gewesen, begleitet von drei anderen Drachen.
An den Südhängen des Ramakorums fand sie ein von Drakken
völlig zerstörtes und entvölkertes Dorf. Sie konnte nur raten, was
dort geschehen war. Aber ihre Vermutung bewahrheitete sich:
Dort, wo zuvor Menschen gelebt hatten, waren Hunde zurückgeblieben. Es waren sogar mehrere Hunde, die meisten davon holten sie später. Bei dieser ersten Begegnung allerdings konnte
Alina nur einen mitnehmen. Sie nannte ihn Mukko.
Er war ein kleines, braunweißes Fellknäuel und kam schwanzwedelnd auf sie zu; kein Zweifel, dass er bei einer netten Familie
gelebt hatte. Alina hatte die Drachen ein ganzes Stück entfernt
zurück gelassen, da sie damit rechnete, dass sich ein Hund vor
einem so riesigen Wesen zu Tode ängstigen würde. Aus diesem
Grund wählte sie auch den kleinsten Hund, den sie finden konnte,
darauf hoffend, ihn irgendwie bändigen zu können, wenn sie ihn
auf den Drachenrücken schaffen musste. Es gab keine andere
Möglichkeit, als die Hunde durch die Luft nach Malangoor zu befördern. Das Wunder geschah, als Alina mit Mukko unter dem
Arm zögernd auf die Drachen zumarschierte. Der kleine Mukko,
kaum größer als eine Katze, reckte neugierig die Nase vor und
wedelte heftig mit dem Schwanz. Als sie vor Majana standen,
dem zierlichen und eleganten Drachenmädchen, wollte der Hund
auf den Boden; er zappelte und wand sich; Alina hatte den verwirrenden Eindruck, dass er nicht weg von dem Drachen wollte,
sondern zu ihm hin. Majana reckte den Hals und kam mit ihrem
gewaltigen Schädel, wohl dreißigmal so groß wie der ganze Hund,
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