Höhlenwelt-Saga 4 - Das magische Siegel
knuffte, boxte ihn, einmal musste er
sogar eine Ohrfeige einstecken, aber eigentlich war es nur ein
Streicheln gewesen. Sie brauchte jemanden, der ihr Zärtlichkeit
schenkte.
Alina war in den letzten Tagen klar geworden, dass Roya noch
immer unter dem Verlust ihrer Schwester Jasmin litt, die vor über
einem Jahr als das erste Opfer dieser schlimmen Geschichte gestorben war. Sie war Jasmin immer sehr nahe gewesen. Die verblüffende Wahrheit bestand darin, dass Roya, obwohl sie ein außergewöhnlich hübsches Mädchen war, noch nie einen Mann gehabt hatte. Sie war noch sehr jung, aber Alina fand, dass es langsam Zeit für sie wurde. Sie hatte für einige Tage ihre große
Schwester gespielt, wahrscheinlich auch nur, um sich über den
eigenen Verlust hinwegzutrösten – den von Victor. Aber das
konnte nicht für ewig anhalten. Marko schien kein übler Bursche
zu sein, und dass Roya jetzt so deutlich, wenn auch derb auf ihn
zuging, hielt Alina für ein gutes Zeichen. Nun blieb nur noch die
Frage, was mit ihr selbst geschah. Ihre Sehnsucht nach Victor
war ungebrochen und Marie fehlte ihr natürlich mindestens ebenso sehr. Nun, da sie Roya verlieren würde, hatte sie niemanden
mehr, an dem sie sich festhalten konnte. Sie war offenbar eine
bewunderte und beliebte, aber dennoch einsame junge Shaba.
*
Roya schlug das Herz bis zum Hals. Sie kniete an einem Bach,
der aus einer Felsengruppe hervorplätscherte. Eine Viertelmeile
vor ihr war ein Drakkenboot aufgetaucht, das sich nun mit heulenden Maschinen näherte. Hinter ihr, zwischen den Blöcken der
Felsengruppe und den Büschen und Bäumen, die daraus hervorwucherten, hielten sich ihre Freunde versteckt. Die Wahl war auf
sie als Köder gefallen, weil sie ein junges Mädchen war. Möglicherweise hatten die Drakken Hemmungen, gleich auf sie zu
schießen. Ob es allerdings bei den Drakken tatsächlich so etwas
wie Hemmungen gab, konnte sie nur hoffen. Sie hatten einen
abgelegenen Landstrich südlich von Hegmafor gewählt, und nun,
nach eineinhalb Stunden nervösen Wartens, war es so weit: Ein
Patrouillenboot hatte Roya entdeckt und das typische Geräusch
des anfliegenden Flugschiffs schwoll an. Roya beherrschte sich
mühsam und blieb, wo sie war.
Etwa fünfzehn Meilen südwestlich von hier gab es eine Drakkenstadt mit einem riesigen Bergwerk, und sie hatten vor Tagen
schon ausspioniert, dass die Drakken in dieser Gegend regelmäßige Patrouillen flogen. Kleine graue Boote, mit zwei Drakkensoldaten bemannt. Sie hatten alles genau vorausberechnet und den
eigentlichen Moment dutzendfach geprobt. Wenn alles so klappte,
wie sie es geplant hatten, war es geradezu lächerlich einfach.
Wenn wirklich alles so klappte. Sie sollte tapfer warten, bis das
Boot gelandet war und die Drakken herauskamen. Wenn sie ihr
Zeichen gab, indem sie aufstand, würde sie den rechten der beiden Drakken mit einer Magie festhalten, während Laura, die
Adeptin, das Gleiche mit dem linken tat. Sie gingen davon aus,
dass es ein normales Patrouillenboot der Drakken mit zwei Insassen sein würde.
War es ein größeres, würde es schwieriger werden. Dann hatten
sie es möglicherweise mit bis zu sechs Drakken zu tun. Die Taktik
bestand in diesem Fall darin zu warten, bis die Drakken ausgestiegen waren. Laura würde dann das Drakkenboot mit einer glühenden Druckwelle der fünften Iterationsstufe angreifen und es
auf einen Schlag zu zerstören versuchen. Sie behauptete entschlossen, dass ihr das gelingen würde; sie stand, wie sie sagte,
kurz vor ihrem Aufstieg zur Jungmagierin. Roya hoffte, dass Laura ihnen nicht aus Ehrgeiz etwas vorlog, nachdem sie gehört hatte, dass sie es mit den Freunden der leibhaftigen Leandra zu tun
hatte. Der Leandra, die als die Adeptin bekannt geworden war.
Waren die Drakken ausgestiegen, würden sie Opfer der vier Bogenschützen werden, die Marko postiert hatte. Er selbst zählte zu
ihnen und hatte Roya geschworen, dass er nötigenfalls sogar alle
vier Drakken ganz allein innerhalb von wenigen Sekunden fällen
könnte.
Mindestens einen wollten sie jedoch am Leben lassen – nämlich
den, den sie selbst angriff. Auch sie hatte geübt. Sie beherrschte
ihre Magie gut und wusste, dass sie wirkungsvoll genug für ihren
Zweck war. Diesen Drakken würden sie dann entwaffnen und
nach allen Regeln der Kunst zusammenschnüren. Sie hatten sogar zwei schwere Wurfnetze geknüpft. Alles musste so schnell
gehen, dass den Drakken keine Zeit zur Gegenwehr oder zur
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