Höhlenwelt-Saga 4 - Das magische Siegel
sie sich niemandem zu erkennen gegeben, hatte ihr Gesicht mit Schmutz
beschmiert und die langen Haare zu einem derben Bauernzopf
geflochten. Auch ihre Kleider hatte sie schmutzig gemacht und
ein paar Löcher hineingerissen – niemand durfte dahinter kommen, wer sie war. Es würde weder den Leuten helfen noch ihr
selbst, wenn sie jemand erkannte.
Mit neuer Anstrengung machte sie sich daran, den Weg nach
Torgard zu finden. Die Menschen in den Katakomben hatten
schreckliche Angst; sie harrten der Stunde, da die Drakken Zugang zu den Höhlen unter der Stadt finden und sie jagen würden.
Aber sie halfen sich gegenseitig, entwickelten einen neuen Gemeinschaftssinn und bewaffneten sich sogar mutig, um den Drakken zu widerstehen. Alina konnte ein paar Fackeln ergattern, und
endlich fand sie auch Leute, die ihr etwas zu essen gaben. Sie
fragte sich immer weiter durch und näherte sich langsam den
südwestlichen Katakomben. Doch es war schwierig, sich hier zurechtzufinden. Viele Male verlief sie sich und manchmal hatte sie
Angst, nie wieder in bekannte Bereiche zurückzufinden. Nach
Stunden erreichte sie eine große unterirdische Halle, in der ein
kleiner Wasserfall einen klaren See speiste – hier war sie schon
einmal gewesen. Nach kurzer Zeit fand sie einen der leicht abwärts führenden Tunnel, die Richtung Torgard führen mussten.
Aber sie kam nicht weit.
Der Boden wurde nass, kurz darauf reichte ihr das Wasser bis
zu den Knöcheln und dann watete sie schon knietief darin. Unschlüssig blieb sie stehen.
Vor nicht ganz drei Wochen, als sie aus Torgard geflohen war,
war hier noch alles trocken gewesen. Sie hob die Fackel, um etwas sehen zu können, aber sie wusste längst, dass hier kein
Durchkommen mehr war. Die Gänge nach Torgard führten tief
unter dem Meer entlang und waren nur mithilfe eines Pumpwerks
und durch den Einsatz von Magie trocken gehalten worden. Seit
dem Fall der alten, geheimen Shabibsfestung, in der sich die Bruderschaft eingenistet hatte, war das Pumpwerk zum Stillstand
gekommen, und nun waren die Verbindungsgänge voll Wasser
gelaufen.
Sie ging zurück und suchte nach einem anderen Weg, konnte
aber nichts finden. Alle Gänge, die in die richtige Richtung zu führen schienen, erwiesen sich nach kurzer Zeit als überflutet. Doch
wie waren Quendras und Yo nach Torgard gelangt? Yo hatte von
dem Wasser nichts erwähnt.
Ein weiteres Mal suchte sie alles genau ab, blieb aber ohne Erfolg. Sie schätzte, dass es inzwischen schon Mittag war, aber an
eine Rückkehr zu Victor, Hilda und Marie war jetzt noch weniger
zu denken. Müde ließ sie sich irgendwo nieder und schlief eine
oder zwei Stunden. Als sie wieder erwachte, entzündete sie ihre
letzte Fackel, verzehrte die kargen Essensreste, die sie noch besaß, und überlegte, was sie nun tun sollte. Der einzige nun noch
denkbare Weg war der übers Meer – vielleicht mit einem kleinen
Boot und im Schutz der Nacht, vom Savalgorer Handelshafen aus.
Wobei sie stark bezweifelte, dass sie am Torgarder Stützpfeiler
einfach an Land gehen und dort einen Zugang in die Festung finden konnte. Und es gab noch ein Problem, das viel, viel schwerer
wog: Dort oben im Hafen waren die Drakken! Alina seufzte enttäuscht. In den letzten Tagen hatte sie sich oft gewünscht, eine
von Leandras Gefährtinnen zu sein und nicht im Palast wohl behütet hinter dicken Mauern von einer Schar von Dienern umsorgt
zu werden, sondern wie Leandra die schwierigsten und gefährlichsten Situationen gemeistert zu haben. Dann würde sie jetzt
über so etwas wie Erfahrung, Waffenkunst oder vielleicht sogar
ein wenig Magie verfügen. Wie oft hatte sie Chast voll geheimer
Bewunderung über Leandra reden hören, über diese kleine Adeptin aus dem Dorf Angadoor, die so viel Macht erlangt hatte. Hellami, Roya, Yo und sogar Azrani und Marina hatten an ihrer Seite
gekämpft und sie hätten sich jetzt sicher zu helfen gewusst. Aber
sie?
Verdrossen blickte sie sich um. Hier, in diesem abgelegenen und
schwer zugänglichen Teil der Katakomben, war niemand außer
ihr; kein mutiger Krieger und kein Magier, der ihr hätte helfen
können. Was sollte sie tun? Einen Weg hinauf in den Hafen suchen, einen Drakken erschlagen, sich ein Boot stehlen und damit
hinaus aufs Meer rudern? Sie wusste nicht einmal, wie man ruderte. Doch dann stand sie mit einem plötzlichen Ruck auf. Sie
nahm ihre Fackel zur Hand, warf einen letzten Blick in den überfluteten Gang vor sich und kehrte um. Leandra hatte
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