Höhlenwelt-Saga 6 - Die Mauer des Schweigens
und starrte den beiden hinterher.
»Komm schon, Leandra«, zischte Roscoe und zog sie am Arm.
Sie drehte sich wieder um und folgte ihm. »Bisher hat mich
noch jeder angestarrt, weil ich so klein bin«, flüsterte sie. »Aber
diese beiden…«
»Weil du so hübsch bist«, korrigierte er sie mit einem Augenzwinkern und sah nun selbst den beiden Hüllern hinterher. »Aber
diese Typen hier haben andere Geschmäcker. Wirst du gleich sehen. Komm.« Sie knuffte ihn lächelnd in die Seite und ließ sich
von ihm fortziehen.
Inzwischen besaß sie passende Kleidung in der Art, wie alle sie
trugen; sie hatte die zwei Wochen an Bord genutzt, um sich etwas aus den Sachen zu nähen, die sie in Griswolds Kisten und
Kästen gefunden hatte. Sogar Nadel und Faden hatte sie auftreiben können.
Nun strich sie sich zufrieden über Hüfte und Taille – wenn Darius nicht gelogen hatte, war es ihr gelungen, sich etwas wirklich
Kleidsames zu schneidern.
Am Ende des Terminaltunnels lag eine kleine, flache und runde
Halle, in der sich etliche Leute tummelten. Das Frachterpersonal
ließ sich auf den ersten Blick von den Hüllern unterscheiden. Die
Männer und Frauen aus den Raumschiffen, die sich hier aufhielten, besaßen einen deutlich kräftigeren Körperbau und trugen
ganz andere Kleidung. Immer wieder erhoben sich einzelne Köpfe
ein Stück über die Menge, was darauf hindeutete, dass einer der
Raumfahrer die geringe Schwerkraft vergessen hatte und zu
schnell losmarschiert oder von einem Tisch aufgestanden war.
Leandra lachte leise – irgendwie erinnerte sie das an die Hühner.
»Und du denkst, sie werden uns welche abkaufen?«, fragte sie
leise.
»Du meinst unsere Hühner? Ach, Griswold ist ein guter Feilscher. Aber ich denke, die Biester werden’s hier nicht leicht haben. Ein Flügelschlag zu viel, und sie knallen an die Decke.«
»Geschieht ihnen recht«, stieß Leandra grimmig hervor.
Roscoe lachte auf. »Willst du mal die Kuppel sehen?«
»Die Kuppel? Du meinst… das Ding auf der anderen Seite?
Gibt’s denn da was zu sehen?«
»Komm. Du wirst staunen!«
Sie durchquerten die reich bevölkerte Halle, in der es offenbar
hauptsächlich darum ging, sich zu verköstigen und dabei auf irgendetwas zu warten, womöglich auf Start- oder Andocktermine
der zahlreichen Schiffe, die hier verkehrten. Am anderen Ende
ging es wieder in einen Tunnel, diesmal einen mit einem flott dahingleitenden Laufband. Ein Blick geradeaus sagte Leandra, dass
der Tunnel enorm lang war. Ein kindischer Spieltrieb überkam sie.
Sie begann zu rennen und jauchzte vor Vergnügen über die rasende Geschwindigkeit, mit der sie an den Wänden vorüberjagte.
Schon nach einer halben Minute hatte sie das Ende des Bandes
erreicht und wartete schnaufend und mit fröhlichem Lächeln im
Gesicht auf Roscoe.
Er gab sich stoisch und rührte sich um keine Handbreit, bis ihn
das Laufband ganz zu ihr getragen hatte. »Du siehst nicht nur
klein aus«, meinte er mit gutmütigem Stirnrunzeln, »du bist es
auch noch, was? Sind bei euch in der Höhlenwelt alle Mädchen
mit zweiundzwanzig noch so?«
»Ach ja?«, meinte sie herausfordernd und kniff ihn frech zwischen die Beine. »Aber für so etwas bin ich dir alt genug, hm?«
Roscoe wischte rasch ihre Hand weg und blickte sich um.
Niemand war in der Nähe. »Vorsichtig«, sagte er leise.
»Diese Hüller sind ein ausgesprochen prüdes Volk. Wer sich hier
nicht an die Regeln hält, kassiert saftige Geldstrafen. Oder kann
sogar im Loch landen.«
Leandra schluckte. »Im Loch?«
»In einer Zelle. Nur für ein paar Tage, aber darauf bin ich nicht
scharf. Und Geld wird man allemal los.« Er nickte unauffällig in
Richtung einer kleinen Glaslinse, die rechts oben in der Wand eingelassen war. »Da, siehst du?«, wisperte er. »Ein Videoauge. Die
Hüller sind Meister im Überwachen. Haben sie wohl in den Halonringen gelernt.
Komm.«
Er bog nach links ab und zog sie in einen weiteren Tunnel, der
abermals ein Laufband besaß, aber Leandra blieb diesmal brav an
seiner Seite. »Es ist wirklich so«, erklärte er ihr unterwegs, noch
immer flüsternd, »die Hüller sind ein ganz eigenes Volk. Sie sind
freundlich, aber sehr eitel und auf Unterschiede bedacht. Die Unterschiede zwischen sich und dem Rest der GalFed.«
Leandra blickte stumm und mit ernstem Gesicht zu ihm auf. Er
legte ihr sachte den Arm um die Schultern. »Sie geben sich hoch
moralisch. Aber… nun, für meinen Geschmack ist das ziemlich
verlogen. Was Waffen und Kampf und
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