Höhlenwelt-Saga 6 - Die Mauer des Schweigens
Für einen Wissensschatz wie diesen benötigte man eine Zugangsberechtigung. Ob
er diesen Code würde herausfinden können, wusste er nicht, im
Augenblick war ohnehin keine Zeit dafür. Er musste nun zusehen,
dass er so schnell wie möglich von hier verschwand.
Als er sich umwandte, um den Rückweg anzutreten, flammte
das Licht im Raum auf.
*
»Du hast mal was mit ihr gehabt!«, flüsterte Leandra.
Roscoe brummte unwillig und starrte zum Panoramafenster der
Swish hinaus. Sie hatten auf zwei bequemen Passagiersesseln im
hinteren Teil des kleinen, wendigen Schiffes Platz genommen,
während Mai:Tau’Jui ein Stück vor ihnen an einem breiten Instrumentenpult saß und die Swish durch das Getümmel der Feisund Eisbrocken der Halonringe steuerte. Sie waren auf der Suche nach dem Schwarm von Santavista, dessen Spur Mai:Tau’Jui
mithilfe der stets auf dem neuesten Stand befindlichen Beobachtungsdaten der Hüller rasch hatte finden können.
Roscoe schien Leandras Feststellung als eine Art Vorwurf aufzufassen, Leandra jedoch empfand die Vorstellung eher als aufregend. Aber das konnte Darius nicht ahnen. »Hast du sie wirklich
geliebt?«, flüsterte sie. »Ich meine, so richtig? Körperlich?«
Er wandte den Kopf, sein Gesichtsausdruck war bitter. »Warum
willst du das wissen? Ist es wichtig für dich, was ich früher einmal
getan habe? Bevor ich dich kannte?«
Sie musterte sein Gesicht. Nein, er hatte tatsächlich keine Ahnung, warum sie so neugierig war. Leandra sog Luft durch die
Nase ein und sagte sich, dass sie es besser dabei lassen sollte.
Überhaupt sollte sie sich zusammenreißen, sich nicht wie ein Kind
benehmen und diesen Unsinn vergessen.
»Nein, schon gut«, sagte sie seufzend. »Entschuldige.«
Eine Weile schwieg er, dann kam er von selbst auf die Sache zu
sprechen, die Sache, die er hinter Leandras Frage vermutete.
»Ich habe einmal ein Verfahren am Hals gehabt«, raunte er
Leandra zu. »Wegen des Transports unangemeldeter Waren.«
»Schmuggel?«
Er stöhnte. »Ja. So kannst du es auch nennen.« Mai:Tau’Jui
wandte sich kurz um und warf ihnen ein Lächeln zu. »Entschuldigt, dass ich nicht mit euch reden kann«, sagte sie laut durch
das vernehmbare Röhren der Triebwerke hindurch. Sie drehte
sich gleich wieder um und widmete sich den Kontrollen. »Ich
muss hier draußen ziemlich aufpassen, wegen all der Fels- und
Eistrümmer. Aber ich habe den Schwarm schon gefunden. Wir
sind bald da.«
»Schon gut«, antwortete Darius. »Ich erzähle Leandra gerade
von… damals. Du weißt schon.« Diesmal war Mai:Tau’Juis Lächeln
ernster und nur an Leandra gerichtet; Leandra jedoch staunte
über Darius’ spontanen Mut. Sie wandte sich ihm zu und versuchte ihm seine Beichte mit einem versöhnlichen Gesichtsausdruck
zu erleichtern. Die Geräuschkulisse des Schiffes sorgte dafür,
dass er es ihr allein erzählen konnte.
Darius holte tief Luft. »Ich hätte meine Lizenz und die Moose
verloren, meine ganze Existenz, und dazu blühten mir noch Zehntausende Solis als Strafe. Vielleicht hätten sie mich sogar ins Gefängnis gesteckt. Also habe ich mich auf ein Geschäft mit ihnen
eingelassen. Sie wollten, dass ich bei jemandem eindringe und
sein Haus verwanze. Mit elektronischen Spionen.«
Leandra nickte verstehend.
»Ich kannte damals Mai:Tau’Jui oder ihren Großvater noch
nicht«, erklärte er. »Es ist nicht so, dass ich vorhatte, Freunde zu
verraten, verstehst du?«
Wieder nickte Leandra. »Aber sie wurden welche, nicht wahr?
Du hast dabei Mai:Tau’Jui kennen gelernt und dich in sie verliebt.«
Die Beichte tat Darius sichtlich weh. »Ja, du hast Recht.
Die Spione hatte ich längst hier eingeschleust, als ich
Mai:Tau’Jui kennen lernte. Und dann…« Er wandte sich ihr zu und
sagte mit flehentlicher Stimme: »Ich weiß auch nicht, Leandra…
ich kann’s dir nicht erklären, aber sie…«
Leandra nahm mit einem wissenden Lächeln seine Hand.
»Brauchst du mir nicht zu erklären. Ich kann es gut verstehen.«
Irritiert blickte er zwischen Leandra und Mai:Tau’Jui hin und
her. »Wirklich? Ich meine, sie ist eine…«
»Eine Ajhana – ja«, bestätigte Leandra. »Aber sie ist einfach…
hinreißend.« Sie schenkte ihm noch ein Lächeln und drückte seine
Hand fester. »Und was hast du dann getan?«
Er stöhnte leise. »Wir waren wochenlang zusammen, ich konnte
gar nicht genug kriegen von ihr. Aber ich hab immer weniger gewagt, ihr die Wahrheit zu sagen. Dann bin ich eines Tages
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