Höhlenwelt-Saga 6 - Die Mauer des Schweigens
Leandra etwas. »Ja, das stimmt, Mai:Tau’Jui.«
Sie nickte langsam. Ihre Züge waren nun ernster, und zum ersten Mal erhaschte Leandra einen Eindruck davon, dass sie auch
noch etwas anderes war als nur ein hinreißendes, junges Mädchen. »Ich verstehe. Du willst, dass ich meinen Großvater von
etwas überzeuge. Aber du weißt, dass das nicht einfach ist. Er will
von der Welt nichts mehr wissen.«
Roscoe räusperte sich. »Ja, das kann ich gut verstehen. Und ich
habe meinen Teil dazu beigetragen.«
Mai:Tau’Jui winkte mit gütiger Miene ab. »Du kannst nicht wirklich etwas dafür, Darius. Du hast auch nur unter Zwang gehandelt. Wie wir alle.« Erstaunt sah Leandra zu Roscoe auf, der neben ihr saß; er schenkte ihr nur einen bedauernd-zweideutigen
Blick. Mai:Tau’Jui sah kurz zur Decke und vollführte eine Handbewegung. »Du kannst reden, Darius. Hier gibt es keine Spione.
Wobei soll ich euch helfen?« Leandra sah, wie Darius’ Gesicht
grau wurde. Und dann verstand sie: Es war der Hinweis mit den
>Spionen<. Was genau geschehen war, konnte sie nicht einmal
vermuten, aber offenbar war hier einmal etwas ausspioniert worden. Wie es aussah, mit seiner Beteiligung. Darius war kein
schlechter Kerl, das wusste sie, und dass Mai:Tau’Jui zu den
Schlechten gehören könnte, schloss sich von selbst aus. Aber
warum hatte die junge Ajhana diesen Hinweis so klar ausgesprochen? Wollte sie, dass es vor ihr, Leandra, nicht geheim blieb?
Wollte sie Darius dazu zwingen, Farbe zu bekennen?
Leandra musterte Mai:Tau’Jui, und ein geheimnisvolles Band
des Verstehens knüpfte sich zwischen ihnen. Von Frau zu Frau
möglicherweise, mit der gleichzeitigen Aufforderung an Darius,
Leandra gegenüber aufrichtig zu sein. Dass Mai:Tau’Jui ihm verziehen hatte, war bereits zu hören gewesen, aber eine Kleinigkeit
fehlte noch, etwas, das sie von ihm erwartete. Leandra lief ein
leiser Schauer über den Rücken, als sie feststellte, dass sie soeben zu einem Verknüpfungspunkt zwischen Darius und der jungen Ajhana geworden war. Sie nickte Mai:Tau’Jui unmerklich zu,
sah dann zu Darius und nahm sich vor, ihn sanft zu behandeln.
Dennoch würde sie von ihm wissen wollen, was vorgefallen war.
»Es geht um die Leviathane«, erklärte er Mai:Tau’Jui mit unsicherer Stimme. »Leandra hat da etwas…«
»Ich hatte Kontakt mit einer Königin«, half sie ihm und kam
damit direkt aufs Wesentliche, denn sie hatte längst die Gewissheit erlangt, dass Mai:Tau’Jui sie ernst nehmen würde. »Ich meine, einen Kontakt auf der… magischen Ebene.« Sie lächelte
schief.
»Auf der… magischen Ebene?« Mai:Tau’Juis Mund stand ein wenig offen. Sie schien auf der Stelle verstanden zu haben, was
Leandra gemeint hatte.
Und dann begann Leandra zu erzählen.
Es war nicht das erste Mal, dass sie ihre Geschichte jemandem
aus dem Sternenreich der GalFed erzählte, inzwischen hatte sie
schon Übung darin. Die Art des Zuhörens war dieses Mal jedoch
eine andere. Mai:Tau’Jui hing förmlich an ihren Lippen, und
Leandra überkam ein seltsames Gefühl der Aufregung. Sie versteigerte sich in ausschmückenden Beschreibungen und hatte
dabei den Eindruck, dass Mai:Tau’Jui ihr jedes Wort glaubte, sogar glauben wollte, obwohl ihr Gesicht die meiste Zeit ungläubiges Erstaunen zeigte. Die junge Ajhana stellte häufig Zwischenfragen, sodass Leandra weiter ausholen musste und ihr schließlich
sogar die wichtigsten Dinge aus der Höhlenwelt erklärte. Immer
wieder wanderten Mai:Tau’Juis Blicke zu Roscoe, der sich darauf
beschied, bestätigend zu nicken. Im Laufe von Leandras Erzählung wurde er wieder ruhiger und entspannter, während Leandras
Aufregung wuchs. Als sie nach über einer Stunde endete, pochte
ihr Herz wie verrückt, und sie überlegte verzweifelt, was sie da
packte, wenn sie Mai:Tau’Jui nahe war. Sie ertappte sich bei dem
Gedanken, sexuelle Lust auf die junge Ajhanfrau zu empfinden –
und das in nicht geringem Maße.
»Und du bist sicher, Leandra, du könntest wirklich wieder Kontakt mit ihr aufnehmen?«, fragte Mai:Tau’Jui. »Und dann herausfinden, welche Botschaft… sie uns mitteilen will?« Faszination und
Begeisterung standen ihr ins Gesicht geschrieben.
Leandra nickte eifrig. »Ja, ganz bestimmt. Ich möchte wetten,
dass es dieselbe Königin war wie die, der wir draußen im All begegnet sind.« Sie holte das Amulett unter ihrem Hemd hervor,
zog das Lederband über den Kopf und reichte es Mai:Tau’Jui.
»Das ist es. Mein
Weitere Kostenlose Bücher