Höhlenwelt-Saga 6 - Die Mauer des Schweigens
jemanden
zu töten. Azrani ist am Leben, da bin ich ganz sicher.«
Marinas Miene hellte sich ein wenig auf. »Glaubst du wirklich?«
»Aber ja. Wir müssen uns nur etwas einfallen lassen, wie wir sie
wiederholen.« Er stöhnte und ließ sich umständlich auf den Boden
sinken. »Leider«, keuchte er voll bitterer Selbstkritik, »bin ich
nicht nur zu fett, um jetzt dort hineinmarschieren zu können,
sondern mir tut auch noch alles weh. Ich kann kaum zehn Schritte laufen.«
Marina lächelte schwach und wischte sich die Tränen fort. »Du
bist schon in Ordnung, Ullrik, danke. Du hast mir wieder Mut gemacht.« Sie kniete sich zu ihm und blickte in den Tunnel hinein,
der nun wieder völlig dunkel war. »Aber wie sollen wir sie da nur
herausholen?«
Ullrik seufzte. »Wenn ich das wüsste. Am Ende müssen wir noch
Meados um Rat oder Hilfe bitten.« Sie blickte ihn fragend an.
»Hattet ihr Streit miteinander?«
Ullrik drehte sich und versuchte einen Blick über die Schulter in
Richtung ihres Lagers zu werfen, was ihm aber nicht gelang.
»Nicht direkt. Aber ich hätte ihm trotzdem den Hals umdrehen
können. Ich wusste nicht, dass Drachen so… widerlich sein können.«
Marina schüttelte heftig den Kopf. »Nein, Ullrik, das sind sie
nicht. Ich kenne viele, die ganz anders sind. So ein Verhalten
erlebe ich zum ersten Mal.«
Er seufzte. »Dann ist es ja gut.«
Marina blickte wieder in die Dunkelheit des Tunnels. »Was machen wir jetzt? Hast du eine Idee?«
»Vielleicht müssen wir nur noch eine kleine Weile warten, und
sie kommt von selbst wieder heraus.« Marina schüttelte den Kopf.
»Das glaube ich nicht. Ich habe eine halbe Ewigkeit gewartet.
Wenn sie hätte zurückkommen können, hätte sie es bestimmt
sofort getan. Azrani würde mich niemals so lange in dieser Angst
zurücklassen.«
Ullrik brummte missmutig. »Ich würde mir das da drin gern mal
ansehen. Die Sache muss mit Magie zu tun haben.
Vielleicht kann ich etwas erspüren.« Marina stand auf, den Blick
noch immer in den Tunnel gewandt. »Aber wie kommst du dort
hinein? Es ist weit über eine Meile zu laufen!«
Ullrik seufzte. »Ich ahnte ja, dass wir Meados fragen müssen.«
Marina sah auf. Zwischen den Säulen hindurch konnte sie zurück zum Lagerplatz blicken. Doch der Drache war nirgends zu
entdecken.
»Er ist fort…«, sagte sie, verstummte dann aber, als sie das typische Rauschen von Drachenschwingen im Wind vernahm. Sie
blickte auf… und sah ihn.
Er kam direkt von Osten und setzte zur Landung vor dem Portal
an. Wieder erschrak sie angesichts seiner schieren Größe und
bemerkte zugleich, dass der Tunnel in der Tat groß genug war,
dass er hätte hineinfliegen können.
Dennoch würde ihnen das keinen sonderlich großen Nutzen
bringen, denn das Manövrieren, Landen und erneute Starten benötigte weit mehr Raum.
Allerdings war Meados, anders als die meisten Drachenarten,
ein Vierbeiner; er würde vielleicht hineinlaufen können.
Unweit des Eingangs setzte der Drache auf. Seine Schwingen
hielt er ausgebreitet und machte ein paar mächtige Schritte auf
den Fuß der Treppe zu. Marina bückte sich, um Ullrik auf die Beine zu helfen. Stöhnend stemmte er sich in die Höhe.
Was ist geschehen?, hörten sie Meados’ fordernde Stimme über
das Trivocum.
Azrani ist fort, antwortete Marina.
Augenblicke später wurde ihr klar, wie kleinlaut und furchtsam
ihre Stimme geklungen haben musste. Sie war eine der Schwestern des Windes, der Sieben, denen vom Urdrachen Ulfa eine
überragende Rolle in der Zukunft der Höhlenwelt zugedacht worden war. Längst aber hatte sich Meados in eine Rolle gedrängt, in
der sie ihm Rechenschaft zu schulden schien, während sie wie
Azrani und Ullrik zu einer kleinen Randfigur verkam. Leise Wut
stieg in Marina auf.
Sie ist fort?, kam die strenge Antwort. Du meinst, sie ist in diesem Bauwerk?
Ja. Und sie kann im Augenblick nicht mehr heraus.
Wir brauchen deine Hilfe.
Meados stieß ein Grollen aus, einen tiefen, rollenden Basston,
der sich bis in den dunklen Tunnel hinein auszubreiten schien.
Marina erschauerte.
Meine Hilfe?, lautete die ungeduldige Antwort. Wie soll ich da
helfen? Ich besitze keinen Schlüssel zu diesem Bauwerk.
Marinas Nerven spannten sich.
Ullrik kann vielleicht mit seiner Magie helfen, aber er ist verletzt. Du musst ihn hineintragen. Das Wort musst hatte sie leicht
betont in der Hoffnung, es werde Meados klar machen, dass er
nicht mit irgendjemandem sprach, sondern mit einer der Schwestern des Windes
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