Höhlenwelt-Saga 7 - Die Monde von Jonissar
Ullrik spielte wieder mit dem Kleinen,
diesmal aber weniger ausgelassen. Aus den Augenwinkeln beobachtete er die Männer, die teilweise ihre Arbeit niedergelegt und
sich dem Dorfplatz zugewandt hatten. Noch immer war keine einzige Frau zu sehen. Instinktiv prüfte er mithilfe seines Inneren
Auges den Kontakt zum Trivocum. Ja, er war noch da, dieser rote
Schleier, der die Welt durchzog. Sollten sie ruhig kommen, diese
Kerle. Er würde sie ein bisschen durcheinander wirbeln, wenn sie
wagten, ihn anzugreifen. Bewaffnet war keiner, und mit seiner
Kraft und Körpermasse würde er vielleicht nicht mal Magie anwenden müssen. Doch niemand stellte sich ihm entgegen. Ihm
kam die groteske Idee, dass er es hier mit einer Gesellschaft zu
tun hätte, die sich durch strafende Blicke untereinander regelte…
Ein verrückter Gedanke.
Er fing den Ball, streckte die Hand nach dem Jungen aus und
sagte: »Komm, Kleiner. Wir machen einen Rundgang. Und du
zeigst mir das Dorf, ja?« Der Junge grinste und nahm seine Hand.
Ullrik kniete nieder, tippte sich mit dem Zeigefinger auf die Nasenspitze und sagte: »Ullrik. Ich heiße Ullrik. Und du?« Er tippte
dem Jungen auf die Nase, musste seine Geste noch zweimal wiederholen, dann hatte der Kleine verstanden. »Tim!«, rief er begeistert und tippte sich auf die Nase. »Ullrik, Tim!«
Der Kleine hatte keine Probleme, den Namen Ullrik korrekt auszusprechen, und »Tim« war Ullrik auch nicht fremd. Er fragte
sich, welche Gemeinsamkeiten diese Leute und er wohl haben
mochten. Wie kamen Menschen hierher auf diese Welt, wo sie
doch offenbar die Heimatwelt der Drachen war? Etwa durch die
Pyramide – aus der Höhlenwelt? Dann aber hätte er ihre Sprache
verstehen müssen. Gab es Menschen überall im Universum? Doch
wo, bei allen Dämonen, waren hier die Frauen?
Fragen über Fragen – wie immer, seit er mit Azrani und Marina
diese Reise angetreten hatte. Er erhob sich, nahm die Hand des
Jungen und wandte sich nach Süden, wo am Ende des Dorfplatzes
eine Straße begann, die hinab zum Fluss führte.
Tim folgte ihm bereitwillig und begann auf Kinderart zu plappern. Er kicherte, schnitt Grimassen, zeigte hierhin und dorthin,
auch auf einzelne Männer, die noch immer aussahen, als wären
sie maßlos empört. Ullrik verstand, warum sie niemand aufhielt.
Der Kleine war wirklich noch zu sehr Kind, als dass er mit seinem
Verhalten eines der hier geltenden Gesetze hätte durchbrechen
können. Womöglich würde das in ein, zwei Jahren für ihn nicht
mehr gelten. Dann würde er ebenfalls mit steinerner Miene seinem Tagewerk nachgehen müssen und auf jedes Lächeln mit einem verdrossenen Gesicht antworten.
Sie verließen den Dorfplatz und gingen in südliche Richtung, bis
sie schließlich den Fluss erreichten. Das Ufer war flach und sandig; an dem breiten hölzernen Steg waren mehrere einfache Boote festgebunden, und am Ufer waren auf hölzernen Stangen Netze zum Trocknen aufgezogen. Die Fischer starrten sie finster an,
doch Ullrik ließ sich nicht beirren und schenkte ihnen freundliche
Blicke. Der kleine Tim blieb brav an seiner Hand und schien es zu
genießen, in seiner Nähe zu sein. Die Leute waren Ullrik ein Rätsel. Er suchte den Schatten eines einsamen Baumes auf einem
kleinen Hügel am Fluss, abseits der arbeitenden Männer. Seufzend ließ er sich nieder und starrte zu den Fischern, die zögernd
ihre Arbeit wieder aufnahmen. Er hatte die ganze Zeit über keine
einzige weibliche Seele erblickt. »Sag mal, wo sind eure Frauen?«, fragte er den kleinen Tim, der sich neben ihm niedergelassen hatte. »Eure Mädchen? Omas? Wo sind die alle?« Tim hob
fragend die Augenbrauen.
Ullrik formte mit den Händen ein Paar Brüste vor seinem Leib
und malte dann geschwungene Körperformen in die Luft. »Die
Frauen? Deine Mama. Wo ist sie?« Nun verstand Tim. Seine Miene verzog sich zu einem Ausdruck des Leids, dann senkte er den
Blick. Erschrocken sah Ullrik, wie sich Tränen in den Augenwinkeln des kleinen Jungen sammelten.
*
Gegen Mittag verließ Ullrik das Dorf. Außer dem kleinen Tim
hatte es dort nichts gegeben, was ihm einen Hauch Freude, Zuversicht oder Hoffnung gegeben hätte, geschweige denn ein Ziel.
Weiteren Kindern war er nicht begegnet, und er hoffte inständig,
dass Azrani und Marina nicht in dieses Dorf gelangt waren. So
beschloss er, sich weiter umzusehen. Vielleicht bot die Umgebung
Hinweise darauf, was hier vor sich ging. Seinen Durst hatte er am
Fluss gestillt, dessen Wasser sehr
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