Höhlenwelt-Saga 7 - Die Monde von Jonissar
unter ihr hindurch, die Richtung war
jedoch bestürzend genau. Leandra geriet vor lauter Panik wieder
ins Strampeln und stieß ein verzweifeltes Heulen aus. Plötzlich
packte jemand nach ihr. Der Schwung der Bewegung riss sie herum und schleuderte den anderen in die Richtung, aus der sie
gekommen war. Einen Atemzug später raste ein greller Blitz zwischen ihnen hindurch. Leandra schrie auf und starrte dem Mann
hinterher, einem ihrer Verfolger, der sie mit aufgerissenen Augen
durch seine Helmscheibe anstarrte, während er von ihr wegtrieb.
Da geschah das Grauenvolle: Die nächste Salve traf den Mann
voll. Leandra wurde geblendet und davongewirbelt, sodass sie
zwischen Eis- und Felsbrocken geriet. Dann traf sie etwas so heftig gegen den Helm, dass ihr Kopf dagegen schlug und ihr
schwarz vor Augen wurde.
5
Männerwirtschaft
Als Ullrik die Kuppe eines flachen Hügels erreicht und eine
Gruppe fremdartiger Nadelbäume umrundet hatte, stand er mit
einem Mal vor dem Dorf. Doch es sah anders aus als erwartet.
Der Dorfplatz war groß und leer, die kleinen Häuser, die um ihn
herum standen, waren aus Holz gebaut und wirkten solide, jedoch völlig schmucklos. Vergeblich hielt er nach einem Blumenbeet, Hecken oder irgendeiner Dekoration Ausschau. Keine Hausfassade wies Verzierungen auf, kein Fenster besaß einen Blumenkasten, die Wege waren grau und öde. Instinktiv wusste Ullrik,
was das zu bedeuten hatte: Frauen hatten hier nichts zu sagen.
Betroffen hielt er inne, denn er hatte noch nie einen Ort erblickt,
der so kalt und grau gewesen wäre wie dieser. Es war sauber
hier, aber nicht gepflegt; ordentlich, aber nicht hübsch; korrekt,
aber ohne Seele. Er fragte sich, warum er diese Mängel mit dem
Fehlen weiblichen Einflusses gleichsetzte. Das Gefühl war vom
ersten Augenblick an über ihn gekommen. Vielleicht entsprang es
einem besonderen Gespür, das er in seiner Zeit bei der Bruderschaft von Yoor entwickelt hatte – ebenfalls eine Gesellschaft, in
der die weibliche Seite völlig gefehlt hatte. Ja, überlegte er, es
war ein Gefühl wie damals bei der Bruderschaft. Doch während es
dort gar keine Frauen gegeben hatte – sah man einmal von den
zur Hurerei gezwungenen Mädchen ab –, schien es sich hier um
eine besonders harsche Form der Unterdrückung zu handeln. Es
kam ihm so vor, als sperrte man die Frauen des Dorfes ein, denn
er konnte tatsächlich nirgends eine entdecken.
Obwohl es noch lange nicht Mittagszeit war, herrschte bereits
große Hitze. An verschiedenen Stellen waren Sonnensegel gespannt – weite Baldachine aus grob gewebtem Stoff, die an
Hauswänden festgeknüpft und außen mit Stangen abgestützt
waren, sodass sie vor den Häusern Schatten spendeten. Dergleichen kannte Ullrik aus den Städten an der heißen Südküste Akranias, allerdings hatten diese Sonnensegel stets ein gleich bleibendes Merkmal gehabt: Sie waren kunterbunt gewesen oder zumindest weiß. Hier waren sie von einem Grau, das einem zusammen
mit der sonst so freudlosen Erscheinung dieses Dorfes die Lust
am Tag verderben konnte.
Unter den Sonnensegeln gingen die Leute hier ihrem Tagewerk
nach. Ullrik sah Männer, die mit unterschiedlichen Holzarbeiten
beschäftigt waren, andere betrieben Töpferei, knüpften Netze, die
vermutlich zum Fischen gedacht waren, oder bearbeiteten Metall.
Als er langsam am Rand des Dorfplatzes entlangging, fiel sein
Blick auf einen Mann, der an einem Seil flocht; ein anderer hackte
mit einer seltsam aussehenden Axt Holz, und ein Dritter war damit beschäftigt, eines der Fischwesen vor einen kleinen Wagen zu
spannen. Mehrere dieser Wesen hockten in einem kleinen Pferch
und beobachteten den Mann dumpf und glotzäugig. Überall
herrschte ruhige Betriebsamkeit. Das Dorf lag auf einem sanften
Hang und erstreckte sich nach Süden zum Fluss hin; Ullriks
Schätzung nach mussten hier einige hundert Personen leben. Hinter der ersten Häuserreihe sah er weitere Dächer aufragen. Bald
kam er an einer Schmiede vorbei, aber als er dann einen Mann
sah, der mit Näharbeiten beschäftigt war, blieb er verdutzt stehen.
Der Mann blickte mit gerunzelter Stirn auf und musterte Ullrik.
Bisher war er von den meisten Männern auf ähnliche Weise angesehen worden – leicht misstrauisch, etwas verwundert und weitestgehend abweisend. Der Mann, der unter einem tristgrauen
Sonnensegel vor einer schlichten, kleinen Hütte saß, legte den
Kopf schief und ließ sein Nähzeug sinken. Er saß neben einem
niedrigen Tisch, auf
Weitere Kostenlose Bücher