Hoellenengel
...« Víkingur missfiel es, die
Unwahrheit zu sagen, aber die Situation war zu kompliziert, als
dass er sich zugetraut hätte, sie seinem Freund am Telefon zu
erklären. »Diese Suche nach Magnús hat sie ganz
schön belastet.«
»Ja, natürlich«, sagte Randver.
»Sie ist einfach müde und erschöpft und nicht
wiederzuerkennen. Sie muss sich ausruhen.«
»Selbstverständlich«, sagte Randver. »Ich
bitte, sie ganz lieb zu grüßen. Wir wollen mal hoffen,
dass ihr Vertreter hier eine Leiche von einem Lebendigen
unterscheiden kann.«
»Belassen wir es erst mal dabei«, sagte
Víkingur. »Wir bleiben in Kontakt.«
Er war darum herumgekommen, die Wahrheit zu sagen. Hatte nicht
direkt gelogen, so gesehen.
Ach, natürlich hatte er seinen Freund und Arbeitskollegen
angelogen. Für einen guten Zweck. Für seine
Frau.
Dreizehn
Die Maschine aus Kopenhagen landete um 22:36 Uhr auf dem Flughafen
Keflavík.
Sie hatten während der Reise nicht viel miteinander
gesprochen. Auf dem Flughafen in Kopenhagen hatte
Þórhildur gesagt, sie wolle kurz in die Geschäfte
schauen, und hatte Víkingur über einer Tasse schlechten
Kaffees sitzen lassen.
Als sie wiederkam, nahm er eine deutliche Fahne an ihr wahr. Auch
Tabakgeruch. Sie hatte wohl geraucht.
Sie war nicht erkennbar betrunken. Dieses Versteckspiel ging ihm
auf die Nerven.
»Þórhildur, Liebes, glaubst du wirklich, ich
merke nicht, dass du getrunken hast? Warum können wir nicht
darüber reden?«
»Seit wann habe ich keine Genehmigung zum
Trinken?«
»Ich fürchte, du musst dich in Behandlung
begeben.«
»Behandlung? Du weißt doch gar nicht, wovon du da
redest. Ich weiß mehr über Alkoholismus als alle
Selbsthilfegruppen in Island zusammen. Ich kann das alles
auswendig. Ich muss mich nur ein bisschen
herunterfahren.
Das musst du verstehen.«
»Nur heute, meinst du?«
»Ja. Ich muss mich erholen. Morgen geht es mir wieder
gut.«
»Kann ich mich darauf verlassen?« »Ja,
selbstverständlich.«
Zum ersten Mal in seinem Leben traute Víkingur seiner Frau
nicht. Es war ein schmerzhaftes Gefühl.
Bei der Ankunft in Keflavík fühlte sich Víkingur
wie auf heißen Kohlen. Er befürchtete, dass Randver doch
jemanden geschickt haben könnte, um sie zu empfangen, oder
dass er selbst gekommen sein könnte. Er war erleichtert zu
sehen, dass Randver sich an die Anweisung gehalten hatte.
Þórhildur ging vor ihm Richtung Zoll und schob das
Wägelchen mit ihrem Gepäck vor sich her.
Hoffentlich halten sie uns nicht auf. Nicht in unserem Gepäck
herumwühlen, dachte Víkingur. Er wollte
Þórhildur unverzüglich nach Hause bringen und
dann so schnell wie möglich zum Tatort fahren.
Drei Zöllner hatten beim grünen Tor keine zu
verzollenden Waren Dienst. Zwei Frauen, die Víkingur
nicht kannte, und ein älterer Mann, mit dem er schon einmal
gesprochen hatte, der Björn hieß, nein,
Bjarni.
Eine der Frauen hielt Þórhildur an und bat sie, den
Koffer in das Durchleuchtungsgerät zu schieben. Wahrscheinlich
war es die Sonnenbrille, die Þórhildur um elf Uhr
nachts auf der Nase trug, die die Aufmerksamkeit der Zöllnerin
auf sich gelenkt hatte. Denkbar, dass sie bemerkt hatte, dass
Þórhildur und Víkingur ein Paar waren, und
deutlich machen wollte, dass auch die Frau des Polizeidirektors von
Reykjavík nicht von der Zollkontrolle ausgenommen sei. Terje
von der Kripo behauptete, dass Uniformen Frauen dahingehend
beeinflussten, dass sie viel eher als Männer dazu neigten, die
Macht, die ihnen die Uniform gab, auch zu demonstrieren.
»Da sind zwei Flaschen im Koffer«, sagte die
Zöllnerin. »Was für Flaschen sind das?«
»Sollen wir den Koffer nicht einfach öffnen und schauen,
was drin ist?«, fragte Þórhildur. »Du hast
die Schlüssel, Víkingur.«
Þórhildur war die Einzige, die am grünen Tor
angehalten worden war. Die Nachfolgenden schoben ihre Wägen
einer nach dem anderen an ihnen vorbei in die Freiheit und schienen
die Regel zu kennen, von der Terje sagte, dass es die Grundregel
sei, um zu vermeiden, dass die Zöllner das Gepäck
durchsuchten, nämlich den Blickkontakt mit den uniformierten
Damen zu vermeiden.
»Frauen in Uniform sind lebensgefährlich; sie sind viel
gewissenhafter als die Männer und wollen mehr als sie finden
und deswegen kontrollieren sie ständig. Die Männer
empfinden das Durchsuchen als lästig, die Frauen aber sind
neugierig und haben Spaß daran, nachzusehen, was die Leute
dabeihaben.«
Der Koffer von Þórhildur
Weitere Kostenlose Bücher