Hoellenengel
ahnte er nicht, dass
zu seinem Beruf die Verpflichtung gehören würde, mit Tod,
Bosheit, Erniedrigung, Hass und Umnachtung umzugehen, und er
ständig an die Existenz des Bösen erinnert werden
würde.
Randver schaute auf den See hinaus. Er erinnerte sich dunkel an
einen Satz, dass die Schönheit allein herrsche.
Selbst da, wo die Schönheit herrscht, kann man sich nicht vor
dem Bösen verbergen.
Hinter sich hörte er Schritte, wandte sich um und erblickte
Dagný, die auf dem Weg zu ihm war. Als sie in Rufweite
gekommen war, rief sie: »Was sollen wir den Journalisten
sagen?«
»Welchen Journalisten?«
»Die bestimmt bald kommen, und wenn sie nicht kommen, dann
rufen sie an.«
»Alles, was wir wissen, ist, dass sich drei
Männerleichen im Sommerhaus befinden. Mehr wissen wir zurzeit
nicht«, antwortete Randver. »Sag Marinó, er soll
zur Straße gehen und den Journalisten diese Informationen
geben, wenn sie kommen, und ihnen klarmachen, dass jeder, der unser
Band übertritt, verhaftet wird.«
»Mach ich«, sagte Dagný und drehte sich um, um
zurückzugehen. »Im Haus sind sowieso schon genug
Leute.«
Randver dachte, wie bedauerlich es war, dass Marinó nicht
zum Pressesprecher der Polizei gemacht worden war. Er war in seinem
Element, wenn es darum ging, Anordnungen und Verbote durchzusetzen
und die Leute auf alles hinzuweisen, was sie nicht tun sollten oder
durften.
Die ersten Male, die Randver Verstorbenen begegnet war, hatte er
sich die Seele aus dem Leib gekotzt.
Jetzt blieb er oberflächlich betrachtet cool, darunter aber
schwebten Gefühle, die ins schwarze Loch des Unterbewusstseins
zu verfrachten ihm immer schwerer fiel. Anfangs hatte er gedacht,
eine seiner Aufgaben als Polizist sei es, mit anderen etwas von
seinem inneren Gleichgewicht und seiner Sicherheit zu teilen. Diese
Aufgabe schien ihm irgendwo auf dem Weg abhandengekommen zu sein
und seine eigene Gemütsruhe schien ihn verlassen zu
haben.
Irgendetwas mit diesem Beruf und mir stimmt nicht, dachte er und
sah die Sonne sich auf der Wasseroberfläche spiegeln, wenn ich
an einem so schönen Tag an einem so schönen Ort nicht
glücklich sein kann. Diese Plackerei jeden Tag führt doch
zu nichts. Von morgens bis abends bemüht man sich, das Licht
weiterbrennen zu lassen, für Frieden zu sorgen und Ordnung in
das Chaos zu bringen, und dennoch nimmt die Härte zu und die
Sanftheit lässt nach, die Freude stirbt und die Sorge lebt
auf, die Güte zerrinnt und die Bosheit wächst.
Randver schüttelte den Kopf, als wolle er diese Gedanken
abschütteln. Es war weder der Ort noch die Zeit, um sich
selbst und die Welt zu bedauern. Er zog sein Handy hervor, rief die
gespeicherten Namen auf, drückte auf V und rief an.
*****
Víkingur hörte sofort, dass etwas Ungewöhnliches
im Gange war. Normalerweise begann Randver alle
Auslandsgespräche, indem er nach dem Wetter fragte. Diesmal
fragte er sofort: »Wann geht euer Flug nach
Hause?«
»Morgen. Warum fragst du?«
»Keine Chance, dass ihr heute kommen
könnt?«
»Ich glaube, es fliegt jeden Tag nur eine Maschine, und die
von heute ist schon weg.«
»Und von Kopenhagen aus, oder London?«
Normalerweise mochte Víkingur die Telefongespräche mit
Randver, der die Angewohnheit hatte, Umwege zu nehmen, bevor er zum
eigentlichen Thema kam, aber diesmal hatte er keinen Sinn für
die langwierige Art seines Freundes.
»Sag mal, was ist eigentlich los? Ist etwas
passiert?«
»Natürlich passiert immer irgendetwas«, sagte
Randver. »Sogar wenn die Sonne scheint.«
»Erzähl.«
»Ich befinde mich hier in Grafningur am Þingvallavatn.
Wir sind vorhin gerufen worden. Hervar Guðmannsson, der
Verleger von Altúnga, hat angerufen. Er war hier mit seiner
Frau in ihrem Ferienhaus. Auf dieser Halbinsel stehen drei
Ferienhäuser ganz nah beieinander.
Hervar gehört das eine, irgendeinem Banker das andere und das
dritte hat dieser Immobilienhändler da, dieser Lárus
Herbertsson, genannt ...«
»Lalli im Leder.« »Ja, er hat wohl damit
angefangen, irgendwelche Leder moden aus Asien zu importieren, und
ist dann so wahnsinnig reich geworden.«
»Ich weiß. Da sind also drei
Ferienhäuser.«
»Ja.«
»Und weiter?«
»Es war nur so, dass Hervar und seine Frau hier in ihrem
Ferienhaus waren und niemand in den anderen, dachten sie, bis heute
Morgen, als sie in das dritte Haus geschaut haben.«
»Warte mal das dritte Haus?«
»Ja, dieses heruntergekommene, das Lalli im
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