Hoellenengel
sehen, wo die Fäden, die
Theódór gesponnen hat, hinführen. Trotz allem,
muss ich sagen, fällt es mir schwer, mir vorzustellen, dass
eine Etappe auf dem Weg zur Gründung des Vierten Reiches darin
bestehen soll, Elli vom Octopussy zu foltern und zu töten und
ein Amphetaminlabor in Estland niederzubrennen.«
»Ich sehe das genauso«, sagte Dagný. »Ich
finde es auch wichtig, zu erwähnen, dass die Kritzeleien
möglicherweise völlig bedeutungslos und nur dafür
gedacht sind, unsere Untersuchung zu erschweren.«
»Gut möglich, dass ich diese Zeichen falsch
interpretiere«, sagte Theódór. »Das, von
dem ich glaube, es sei ein L und ein T, kann was auch immer
bedeuten. Wenn man nach LT bei Google sucht, taucht nichts auf, was
einen klaren Hinweis liefern würde. Die einzige Verbindung,
die ich gefunden habe, ist ziemlich weit hergeholt. LT ist eine
Abkürzung bei einem schottischen Ritterorden, der sich Orden
von der Distel nennt, und zwar für die >Lady of the Order
of the Thistle<. Der weit hergeholte Zusammenhang liegt darin,
dass einige die Gründung dieses Ordens in die Zeit Karls des
Großen zurückführen der wiederum der erste
Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation war,
und damit wären wir wieder bei der germanischen Geschichte
angelangt.
Es ist wie gesagt sehr schwer, Runen und Symbole zu deuten. Wir
müssen schließlich auch beachten, dass ein jeder, dem
danach ist, Symbole verwenden kann, ohne dass er eine Vorstellung
davon haben muss, was sie bedeuten, oder Runen einritzen kann,
wobei man Hellseher sein müsste, um zu erraten, was er damit
ausdrücken möchte.
Unsere Symbole sind unzweifelhaft mit der Nazizeit und dem Dritten
bzw. Vierten Reich verbunden, aber wir können nicht sagen,
welche Bedeutung ihr Urheber ihnen beimisst.« »Wissen
wir also genauso wenig wie zuvor?«, fragte Terje.
»Nein«, sagte Theódór. »Solange wir
heute etwas mehr wissen als gestern, sind wir auf dem richtigen
Weg.«
»Es gibt vieles, das wir nicht wissen«, sagte
Randver.
»Hat dieselbe Hand alle Symbole geritzt? In Rotterdam, auf
dem Flughafen Schiphol, in Estland und dann am Þingvallavatn?
Oder sind es verschiedene Personen, die vielleicht auf eine
bestimmte Art verbunden sind? Sind es Isländer, die sich auf
einen Wikingerraubzug begeben haben? Oder sind es Ausländer,
die nur nach Island gekommen sind, um zu ihrem Vergnügen
jemanden umzubringen, und längst wieder in ihre Heimat
zurückgekehrt sind?«
In diesem Augenblick begann das Mobiltelefon von Víkingur zu
klingeln. Er schaute auf die Nummernanzeige, bevor er antwortete.
Das Gespräch war kurz. Víkingur legte das Telefon auf
den Tisch und sagte: »Der Kritzler scheint uns nicht
verlassen zu haben. Es wurde gerade eine weitere Leiche
gefunden.«
»Und ich wollte heute Abend grillen«, sagte Terje.
»Ich habe den ganzen Tag nichts anderes gegessen als
Kaninchenfutter.«
Zwanzig
Anwohner der Straße hatten bemerkt, dass ein lachsrosa
Hummer-Geländewagen vor der Einfahrt zur Garage beim recht
neuen Haus des Bürgermeisters, auf dem begehrten
Eckgrundstück Nummer 1, geparkt worden war.
Der Hummer war säuberlich mit dem Schriftzug des Octopussy
versehen und seine kantigen Formen wurden durch die weichen Linien
eines Frauenkörpers abgemildert, die auf die Seiten und die
Motorhaube des Fahrzeugs gemalt worden waren mitsamt dem Logo der
Gaststätte und dem Werbespruch: »Octopussy Nightclub for
Executives«.
Die Hausfrau Gróa Jónsdóttir, die in Nummer 3
wohnte und dem Bürgermeister immer noch nicht verziehen hatte,
dass er sich selbst das Eckgrundstück zugeteilt hatte,
bemerkte sofort, dass die Platzierung des Autos interessante
Möglichkeiten bot.
Sie rief das Wochenendmagazin >Menschen und Meldungen< an und
ließ sich mit dem Redakteur Teitur Jónsson
verbinden.
Gróa stellte sich als Nachbarin des Bürgermeisters vor
und erklärte Jónsson, sie habe die Berichterstattung
des Magazins über die auffällige Verbindung des
Bürgermeisters zum Pornoschuppen Octopussy gelesen.
»Ich finde das gut von euch«, sagte Gróa.
»Die Medien sollten ruhig öfter ein wachsames Auge auf
solche Männer werfen.« Redakteur Teitur war es nicht
gewohnt, dass die Leser des Blattes anriefen, um ihn für
Großtaten in Sachen Journalismus zu loben. Üblich war
eher, dass er an den Hauswänden entlangschlich, um nicht auf
empörte und wütende Bürgern zu treffen, die
behaupteten, Enthüllungsjournalisten seiner Sorte seien
Weitere Kostenlose Bücher