Hoellenfeuer
eine weitere Rasse erschaffen sollen, die er dann aber weniger liebt? Und warum hätte er euch Engeln dann sagen sollen, dass wir die Krone seiner Schöpfung seien?“
„Ich weiß es nicht!“, brüllte Samael. „Ich weiß es nicht!“
Wieder einmal bebte der Boden unter Eleanors Füßen. Aus dem Augenwinkel sah sie, wie Uriel und Naral aufgeregt um den Klosterberg flogen. Zweifellos konnten sie sich Samaels Wutausbruch nicht erklären, da das Streitgespräch der beiden nicht bis zu ihnen drang. Doch sie hatten immerhin klar erkannt, dass Eleanor Samael zornig gemacht hatte.
„Wie kann ich dir beweisen, dass ic h bereut habe?“, stieß Samael mühsam hervor. Er atmete schwer, um sich zu beruhigen. Es war mehr als offensichtlich, dass er sich nur noch schwer zu beherrschen vermochte. „Auf welche Weise kann ich mich vor dir verbeugen, so dass du erkennst, dass ich es ernst meine?“
Eleanor zögerte. „Bei den Seelen der Verstorbenen habe ich ihre Gefühle spüren können “, sagte sie schließlich nachdenklich. „Um wirklich zu wissen, wie es in dir aussieht, müsste ich wohl in deinen Toten Palast…“
Samael zuckte innerlich zusammen. Wenn Eleanor in diesen letzten Winkel seines Geistes eindrang, würde sie alles erkennen. Sie würde sehen, wie es in ihm aussah. Und sie würde unzweifelhaft feststellen, dass er sich noch immer nicht geändert hatte. Dass er noch immer voller Hass und Zorn war.
Samael resignierte. Er atmete tief durch. Dann trat er auf Eleanor zu, streckte seine Hand aus und legte grob seine Finger auf ihre Stirn.
Von einem Augenblick auf den anderen veränderte sich die Welt. Eleanor wusste sofort, dass ihr Körper noch immer auf dem Hof des Klosters in den Bergen des Himalayas stand. Doch ihr Geist war hier, hier in Samaels Totem Palast. Im tiefsten Innern seiner Seele.
An diesem Ort war es finster und kalt. Sie stand in einem Saal, ähnlich jenen Sälen, die sie in Raphaels Palast gesehen hatte und dennoch war er gänzlich anders. Während die Säle in Raphaels Geist ursprünglich einfach kahl und leer gewesen waren, fanden sich bei Samael dunkle Gemälde an den Wänden. Sie waren in jenem Zwielicht, das hier herrschte, nur schwer zu erkennen, doch Eleanor trat näher an eines heran und betrachtete es neugierig. Es bestand fast nur aus Schwarz und Grautönen und zeigte Szenen voll Angst und Gewalt. Vor allem aber steckte es voll Leben. Es bewegte sich auf eine unheimliche und nur schwer zu erfassende Art und Weise, die Eleanor sich zunächst nicht erklären konnte. Sie trat noch etwas näher und erst jetzt erkannte sie, dass auf der Bildoberfläche Abertausende von Insekten saßen. Mit ihren eigenen Leibern bildeten sie, gleich einem Mosaik, das gesamte Bild. Doch da sie nie vollkommen still und unbeweglich stehenblieben, glitten unablässig Wellen und Bewegungen durch das Bild, ließen es erzittern, formten ganze Teile immer wieder neu und brachten eine unheimliche Dynamik in das Gemälde. Ein Sirren, Knistern und Rascheln lief bei jeder neuen Welle durch das Bild. Beinahe so, als stünde es unter Strom.
Angewidert trat Eleanor zurück. Aus einem der Gänge zu ihrer Linke n kam ein schwacher Lichtschein. Zögernd ging sie auf ihn zu. Sie lief einen schmalen Korridor entlang und kurz darauf betrat sie einen Saal, an dessen Wänden brennende Bilder hingen. Auch sie zeigten Szenen von Zerstörung und Gewalt, doch in ihnen spielte das Feuer eine dominante Rolle. Brennende Häuser, Menschen, ganze Kontinente waren dort in Flammen zu sehen und das Feuer knisterte so heiß und bedrohlich, dass Eleanor verängstigt weiterstolperte, um diesem lodernden Inferno an den Wänden so schnell wie möglich zu entkommen.
Eine Ewigkeit wanderte sie nun durch die Räume des Palastes. Gleich einem Alptraum wankte sie durch die Räume, die von so unheimlichen Schrecken erfüllt waren, dass sie mehr und mehr die Orientierung in all dem Grauen und der Verzweiflung verlor. Sie hätte nicht zu sagen vermocht, wie lange sie schon durch den riesigen Palast lief, als sie ein leises Rauschen vernahm, das ihr bekannt vorkam. Sie folgte diesem Geräusch, das nun beständig lauter und bedrohlicher wurde.
Es verwunderte sie kaum noch, als sie aus einer kleinen Kammer schließlich auf einen Balkon hinaustrat, der hoch über dem tosenden Meer der Einsamkeit aus dem Palast hinausragte. Hier stand Samael und blickte auf die tosenden Wellen des finsteren Meeres hinaus. Über ihnen jagten rotglühende Wolken über
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