Hoellenfeuer
Bislang ist Eleanor die einzige, die derartige Nebenwirkungen gezeigt hat. Unter Umständen ist sie ein Einzelfall und das Mittel stellt nicht die Revolution dar, für die wir es alle halten.“
Uriel nickte. „Aber wenn du mit deinen Vermutungen zu Samaels Plänen Recht hast, wird er es nicht auf Experimente ankommen lassen. Er wird schnell zuschlagen, sobald er befürchten muss, dass es zu einem Flächenbrand kommt. Spätestens, wenn er von Tintagel hört, wird es für ihn so weit sein.“
„Allerdings wird er sie nicht einfach nur töten können “, wandte Naral nachdenklich ein. „Wenn er das täte, erschiene Eleanors Seele vor Gott und sie hat keinen Anlass, dort positiv von ihm zu berichten. Dann hätte er all seine Bemühungen der letzten Jahrhunderte zunichte gemacht. Sie zu einer Sünde zu verführen und dann in Ruhe ihren Tod abzuwarten, ist ihm aber auch nicht möglich. Bis dahin würde zu viel Zeit vergehen, und das System könnte bis dahin schon zusammengebrochen sein.“
„Richtig “, stimmte Uriel ihr zu. „Er hat nur die Möglichkeit sie schnell aus der Welt zu schaffen, wenn er sie zuvor auf seine Seite gezogen hat.“
„Dann müssen wir eben dafür sorgen, dass das nicht geschieht!“, sagte Raphael bestimmt.
Einen Augenblick lang war es vollkommen still. Dann sprach Uriel zögernd: „Müssen wir das?“
„Was soll das heißen?“, fragte Raphael irritiert. „Wir können sie doch nicht dem Untergang überantworten. Sie wird nicht gegen Samael bestehen können!“
„Nein, das wird sie nicht“, gab Uriel zu. „Aber wir stehen hier vor der Frage, ob wir vielleicht das Ende von Gottes Weltordnung zulassen wollen.“
„Vielleicht, Uriel! Vielleicht!“, erwiderte Raphael aufgebracht. „Ich sehe in ihr keinen Menschen, der Gottes Weltordnung umstürzen will! Ich sehe in ihr einen Menschen, der gegen jede Regel von Samael umgebracht werden wird, wenn wir es nicht verhindern!“
In diesem Moment trat Naral an Uriels Seite und legte beruhigend ihre Hand auf seinen Arm, bevor dieser antworten konnte. Schlagartig beruhigte auch Uriel sich. Eine Weile standen die beiden ganz still da und sahen einander schweigend an. Sie unterhielten sich im Geiste und Raphael wagte sich kaum vorzustellen, von welcher Art ihr Gedankenaustausch sein mochte. Schließlich war es Naral, die sich zu Raphael umwandte.
„Wir werden dir helfen!“, sagte sie lächelnd. „Aber nur, solange wir erkennen können, dass Eleanor Gottes Weltordnung nicht zum Einsturz bringt. Bisher ist sie ein Einzelfall, und als solcher wird sie die Menschheit niemals von dem überzeugen können, was sie von uns und der Welt der Toten gesehen hat. Solange dies so bleibt, stellt sie keine Gefahr dar. Daher werden wir sie vor Samael schützen, wenn er sie in seinem Sinne zu beeinflussen oder gar zu töten versucht. Sollten ihre Fähigkeiten sich aber durch dieses Medikament unter den Menschen ausbreiten, werden wir nicht tatenlos zusehen, wie Gottes Ordnung zusammenstürzt!“
Raphael blickte die beiden ausdruckslos an. Ihre letzten Sätze hatte Naral sehr bestimmt und ernst gesprochen und Raphael war sich der Tatsache wohl bewusst, dass sie jedes ihrer Worte genauso gemeint hatte, wie sie es gesagt hatte. Und dennoch atmete er innerlich erleichtert auf. Er senkte dankbar den Kopf vor den beiden.
„Um sie zu schützen, werden wir drei nicht ausreichen!“, sagte er dann und hob den Kopf wieder.
Als Eleanor am folgenden Morgen erwachte, schien die Welt eine andere zu sein. Sie wusste zunächst nicht genau zu sagen, was es war. Doch vom ersten Augenblick an wurde sie das Gefühl nicht los, dass fremde Augen auf ihr ruhten.
Sie blickte sich irritiert um, doch sie konnte nirgendwo in ihrem Zimmer jemanden entdecken. Einen kurzen Augenblick lang überlegte sie, ob Elizabeth im Zimmer sein könnte, doch das beinahe schon vertraute Gefühl von Elizabeths Angst fehlte gänzlich. Nein, hier schien etwas anderes im Gange zu sein.
Sie zog sich an und verließ ihr Zimmer, um in den Speisesaal zu gehen. Raphael war nirgendwo zu sehen und sie begann langsam, sich Sorgen zu machen. Sein überstürzter Aufbruch gestern Abend war so untypisch für ihn gewesen, dass sie sein Fehlen nun als alarmierend empfand.
Sie nahm den Geruch des Kaffees und der frischen Hörnchen kaum wahr. Sie schmeckte die Marmelade auf ihrem Brot ebenso wenig, wie das Rührei und den Frühstücksspeck. Ohne Raphael schien ihr die Welt heute Morgen farblos und
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