Hoellenfeuer
öde.
Schließlich erhob sie sich vom Frühstückstisch und verließ den Saal. Sie ging zum Gartentor des Haupthauses und betrat den Park von Stratton Hall. Sie war jedoch erst wenige Schritte gegangen, als sie erneut das seltsame Gefühl überkam, von irgendwoher beobachtet zu werden. Sie blickte sich um, doch sie konnte um diese Uhrzeit noch niemanden im Garten ausmachen. Vielleicht wurde sie von einem der Fenster des Haupthauses beobachtet? Eleanor wandte sich um, und nun endlich sah sie es…
Dort oben, am Dachfirst, stand eine Gestalt. Eleanor sah nur ihre Silhouette, da der helle Himmel sie blendete. Doch es konnte keinen Zweifel geben – dort oben stand ein Engel. Eleanor erkannte deutlic h seine mächtigen Schwingen, die er auf dem Rücken zusammengefaltet hatte, und die dennoch seine Gestalt so beherrschten, dass er sie niemals gänzlich hätte verbergen können. Und noch etwas nahm Eleanor wahr: Dieser Engel trug ein Schwert in den Händen. Er hielt es senkrecht mit der Klingenspitze gen Boden vor sich und hatte beide Hände auf den Griff gelegt. So wie er dort stand, hätte man ihn leicht für ein mittelalterliches Standbild halten können.
„Du hast Belial entdeckt!“, erklang Raphaels Stimme neben ihr.
Eleanor fuhr herum und dort stand er – Raphael.
„Wo bist du gewesen?“, fuhr sie ihn erleichtert an. Doch ihr Gesicht lachte bereits wieder bei seinem Anblick. „Warum hast du mich so allein gelassen? Ich habe mir Sorgen gemacht!“
Raphael war sprachlos. Noch nie zuvor hatte sich jemand Sorgen um ihn gemacht. Für einen Engel war diese Vorstellung eigenartig , fast absurd… und dennoch angenehm.
„Du hast dir Sorgen um mich gemacht?“, fragte er mit einem verwirrten Lächeln. „Um mich?“
Eleanor knuffte ihn gegen die Brust. „Du weißt sehr gut, dass du mir wichtig bist!“
Dann legte sie ihre Hände auf seine Brust und sah ihn zärtlich an. Schließlich nahm Raphael ihre Hände in die seinen und atmete einmal tief durch.
„Verzeih mir, wenn ich dir Angst ge macht haben sollte“, begann er. „Ich habe mir nach dem gestrigen Tag große Sorgen um dich gemacht. Wenn Samael je erfahren sollte, was da in Tintagel geschehen ist, würde er…“
Raphael zögerte. Dann blickte er Eleanor offen an. „Ich war in der vergangenen Nacht bei Naral und Uriel und wir haben über dich gesprochen. Sie haben sich bereit erklärt, an meiner Seite zu stehen und dich zu schützen. Wir werden nicht zulassen, dass dir etwas geschieht!“
Eleanor nickte ernst und sah ihn dankbar an. Noch nie war sie ihm so verletzlich erschienen, wie in diesem Augenblick. Dann blickte sie zu dem bewaffneten Engel auf dem Dach hinauf. „Wer ist Belial?“, fragte sie leise.
„Naral und Uriel würden unter Umständen nicht reichen, um dich vor Samael abzuschirmen. Daher haben die beiden ein befreundetes Paar überredet, sich auf unsere Seite zu stellen. Belial und Marahel werden dich ebenfalls bewachen!“
„Ein Paar?“, lächelte Eleanor. „Sind sie ein Paar wie Naral und Uriel?“
Auch Raphael lächelte nun. „Ja, sie sind einander sehr ähnlich. Es war leichter, diese beiden zu überzeugen, als andere Engel, weil sie als Paar im Kampf um Menschenseelen neutraler sind. Du weißt ja, dass Engelpaare nicht als Verführer auftreten. Zudem besteht zwischen Engelpaaren untereinander eine ganz besondere Beziehung. Sie wissen, dass sie Ausnahmen sind und stehen sich daher nahe. Sie wissen auch den Wert dessen besser zu schätzen, was zwischen uns beiden ist…“
Den letzten Satz hatte Raphael sehr leise gesprochen, doch Eleanor hatte ihn sehr wohl verstanden und sah ihn nun völlig verzaubert an. Zum ersten Mal hatte Raphael ihr eben gestanden, dass er in Eleanor mehr sah, als in den anderen Menschen auf dieser Welt.
Sie öffnete den Mund um etwas zu sagen, doch die Worte verließen ihre Lippen nicht. Aus den Augenwinkeln hatte sie eine Bewegung wahrgenommen und nun wandte sie ihren Kopf in diese Richtung. Dort, auf dem Dach des Westflügels , ließ sich soeben ein weiterer Engel nieder. Auch er hatte ein Schwert in der Hand und nun blickte er sich wachsam um.
Raphael war ihrem Blick gefolgt. „Das ist Marahel“, sagte er. Du wirst die beiden noch näher kennenlernen, wenn Naral und Uriel zurückgekehrt sind.
„Zurückgekehrt?“, fragte Eleanor. „Wo sind sie hin?“
„Sie haben etwas zu erledigen, was mit dir zu tun hat“, erwiderte Raphael ausweichend. „Du wirst früh genug davon
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