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Hoellenfeuer

Hoellenfeuer

Titel: Hoellenfeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Conrad
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kurzen Augenblick etwas Leben in die Augen von Nummer Sieben getreten. Er hatte der Mund geöffnet und Eleanor fassungslos angestarrt, bevor er an ihr vorbei fuhr.
     
    Es hatte erneut zu Nieseln begonnen. Ein feiner Sprühregen wehte in Eleanors Gesicht und durchnässte ihre Haare, doch sie nahm es kaum wahr. Was ging hier vor? Wer war Nummer Sieben und warum kannte sie ihn aus ihren Träumen?
    Vielleicht hatte sie ihn in den letzten Tagen schon einmal unbewusst auf dem Gelände des Sanatorium s gesehen und ihr Unterbewusstsein hatte das Gesicht in einen ihrer Träume eingebaut. Das würde aber nicht erklären, warum sie so stark auf seinen Verlust reagiert hatte, nachdem sie aufgewacht war. Das Tetradyxol musste daran schuld sein. Das war die einzig sinnvolle Erklärung.
    „Willst du nicht mit hinein?“, durchdrang Bess' Stimme Eleanors Gedanken.
    Eleanor zuckte zusammen. Dann nickte sie und lächelte Bess verwirrt an. Die beiden traten durch die Tür und begaben sich zum Speisesaal. Eleanor war noch nie zuvor hier gewesen. Seit sie nach Stratton Hall gekommen war, hatte sie all ihre Mahlzeiten auf dem eigenen Zimmer eingenommen. Sie hatte sich einfach noch nicht dafür bereit dazu gefühlt, mit anderen Menschen in einem großen Saal zusammen zu essen. Noch heute Morgen wäre sie nicht freiwillig hierhergekommen. Jetzt aber war sie so verwirrt, dass sie Bess ohne nachzudenken folgte.
    Der Speisesaal des Sanatorium s von Stratton Hall war ein eleganter, hoher Raum mit Kronleuchtern, einem mächtigen Kamin an einem Ende, hohen Fenstern, die den Blick auf den hinteren Park freigaben und einem atemberaubenden Parkettboden. Kein Zweifel, dieser Raum war früher einmal ein Ballsaal gewesen. Zu den Zeiten, da die Erbauer des Landsitzes noch hier gelebt hatten, waren in diesem Saal sicher rauschende Feste gefeiert worden. Nun aber waren in regelmäßigen Abständen Tischreihen aufgebaut worden und die ursprüngliche Pracht des Raumes hatte einer schlichten Funktionalität Platz gemacht. Und dennoch übte der Raum auf Eleanor einen ungewohnten Zauber aus, der sie vergessen ließ, an welchem Ort sie sich befand. Für einen Augenblick nahm sie die Menschen um sich herum kaum war. All die Patienten und Angestellten von Stratton Hall kamen hier zusammen und aßen gemeinschaftlich. Zu den Mahlzeiten verschwammen hier die Unterschiede zwischen Hilfsbedürftigen und Helfern. Für einen kurzen Moment musste man sich hier nicht krank fühlen.
    Eleanor lächelte. Sie sah, wie Schwester Emily ihr von einem der Tische aus freundlich zunickte. Dann wurde sie von Bess an die Essensausgabe weitergezogen. Kurze Zeit später saßen die beiden bereits an einem Tisch . Doch während Bess voll Appetit aß, schob Eleanor sich gedankenverloren Gabel für Gabel in den Mund, während sie ihre Gedanken schweifen ließ.
    Gut, das Tetradyxol hatte sie offenbar übersensibel gemacht und ihre Sinne ungewohnt geschärft. So erklärten sich auch ihre heftigen Reaktionen auf den Verlust ihres Traumbildes. Eleanor war sich nicht sicher, ob sie mit diesem Wissen das Mittel noch einmal nehmen wollte. Andererseits war sie sich ebenso wenig sicher, ob man es ihr überhaupt noch einmal geben würde, nachdem sie so heftig darauf reagiert hatte. Und dennoch – Eleanor seufzte tief, als sie an das sehnsüchtige Gefühl dachte, das sie in ihren Träumen und unmittelbar danach tief in sich  gespürt hatte.
    „Ist alles in Ordnung?“, fragte Bess, als sie Eleanor seufzen hörte.
    „Ja, ich war nur gerade etwas abwesend...“ Eleanor lächelte entschuldigend. Dann fiel ihr die Gabel aus der zitternden Hand und schlug klirrend auf dem Tellerrand auf.
     
    An diesem Nachmittag saß Eleanor wieder auf ihrer Bank im Park. Sie hatte nach dem Mittagessen darum gebeten, dass Gespräch bei Dr. Marcus ausfallen lassen zu dürfen und da Dr. Marcus ohnehin einen wichtigen Termin in der Stadt wahrzunehmen hatte, war dies kein Problem gewesen.
    Dadurch hatte sich allerdings auch die Frage mit dem Tetradyxol geklärt. Weil Dr. Marcus es ihr nicht geben konnte, würde sie mit einem konventionellen Schlafmittel vorlieb nehmen müssen, wenn sie nicht einschlafen konnte. Immerhin gab es eine andere gute Nachricht. Die diensthabende Schwester hatte Eleanor darauf hingewiesen, dass sie nicht länger ein Fall für die geschlossene Abteilung war. Man hatte ihren internen Status geändert und von nun an würde ihre Zimmertür nicht mehr abgeschlossen werden. Für Eleanor bedeutete

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