Hoellenflirt
meine Mutter sofort nach der Geburt gefragt, ob sie nicht gleich mit dem Krankenhausgeistlichen eine Nottaufe arrangieren wollte. Die Hebamme hat sogar behauptet, dass Kinder, die am Karfreitag geboren würden, kränklich wären und nicht alt werden würden. Kannst du dir das vorstellen? Das war 1990!«
Valle schüttelte seine Haare. »Satanist zu sein, hat nichts mit einem Datum zu tun. Nein, irgendwann in deinem Leben stellst du einfach fest, dass du anders bist.«
»Ich war immer anders«, rutschte es mir spontan heraus. Und das stimmte. Ich brauchte nur an Kati oder meine Klasse oder an Schwallfi zu denken.
»Dann lies doch mal die Satanische Bibel von Anton Szandor LaVey. Vielleicht kannst du damit etwas anfangen.«
»Hmm. Hast du die?«
»Klar.«
»Wie wäre es dann, wenn ich morgen zu dir zum Bibelstudium komme?« Ich grinste Valle an, der zurückgrinste.
»Bibelstudium«, flüsterte er, »das ist gut, wirklich gut.« Wir schauten uns an und lachten so laut, dass die Leute in der U-Bahn uns anstarrten und sich dann vielsagende Blicke zuwarfen: Verrückte!
Damals hatte ich nicht die leiseste Ahnung, wie verrückt das noch alles werden sollte.
In der Nacht konnte ich kaum schlafen, denn immer wieder musste ich daran denken, wie unglaublich es gewesen war, Valles Lippen auf meinen zu spüren.
Als ich dann am nächsten Tag vor Valles Wohnungstür stand, hatte ich so großes Herzklopfen, wie ich es bei Robert nie gehabt hatte, selbst in den ersten Wochen des Verliebtseins nicht. Ich konnte es kaum erwarten, Valle wieder nahe zu sein, ihn zu küssen. Als ich dann aber in seiner Wohnung stand, war ich fassungslos, dass er mit mir tatsächlich die satanische Bibel lesen wollte. Er hatte das Buch schon auf seinem Küchentisch bereitgelegt.
Ich hörte nur mit halbem Ohr zu, und als er schließlich beim achten der neun »Satanic Dekolletés« angelangt war, dachte ich, das wäre die Überleitung zu den Themen, die mich wirklich interessierten.
»Satan bedeutet alle sogenannten Sünden, denn sie alle führen zu psychischer, geistiger oder emotionaler Erfüllung.«
Gerade als ich nachhaken wollte, von welchen Sünden denn da die Rede wäre, klingelte Valles Telefon und er hatte nichts Besseres zu tun, als abzunehmen. In diesem Moment!
Keine Ahnung, wer am anderen Ende war, aber ich war sicher, eine Frauenstimme zu hören.
Und dann kam der Knaller, er meinte nämlich, er müsste jetzt dringend weg, eine »Schwester« bräuchte seine Hilfe.
»Ich hätte nie gedacht, dass Satanisten selbstlose Samariter sind«, sagte ich patzig.
Er runzelte böse die Stirn. »Satan bedeutet Güte gegenüber denjenigen, die sie verdient haben!«, verkündete er und zerrte mich geradezu aus der Wohnung.
Als ich draußen auf der Straße stand, die Hände zu Fäusten geballt, Wut in meinem Bauch, war ich überzeugt davon, dass ich mit diesem Typen fertig war.
Was bildete Valle sich eigentlich ein?
Und wie sprang er mit mir um?
In den nächsten Tagen meldete er sich nicht und ich war zu stolz, ihn anzurufen oder bei ihm vorbeizugehen.
So gut es ging, versuchte ich, ihn aus meinen Gedanken zu streichen, aber es ging eben nicht gut. Mein Verstand sagte mir, dass er es nicht wert war, dass ich etwas Besseres verdient hatte, dass der Typ nach Ärger roch, aber mein Gefühl sagte mir etwas anderes.
Und unwillkürlich begann ich, darüber nachzudenken, was er auf dem Friedhof über Gefühle gesagt hatte. Dass man nichts unterdrücken sollte, dass man sie leben sollte. Das Leben findet im Jetzt statt.
Ich surfte im Internet und suchte nach LaVey, und je mehr ich las, desto logischer kam mir vieles davon vor.
Ich war mit dem Grundsatz aufgewachsen, dass alle Menschen gleich waren. Aber waren sie das tatsächlich? Es gab Dumme und Idioten, es gab Kluge und Bauernschlaue, Dicke und Dünne, Alkoholiker und Verrückte. Diese Gleichmacherei auf Teufel komm raus war doch wirklich Schwachsinn. Und was war mit dem Grundsatz, sich nicht zu wehren? Dem anderen die Wange hinzuhalten? Schon als kleines Kind hatte ich das nicht kapiert. Im Grund genommen wusste ich, dass man es sich nicht so einfach machen konnte, aber es tat gut, dass ich wenigstens anfing, zu denken, die Dinge zu hinterfragen, und nicht einfach nur in schwarzen Lederklamotten rumlief, ohne das Gehirn zu benutzen.
Es gelang mir sogar, Schwallfi in eine Diskussion über Gut und Böse und Erkenntnis zu verstricken, die Mama dann aber unterbrach, weil sie fand, dass wir zu sehr
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