Hoellenflirt
herunter und überlege, wie ich sonst noch in den Kirchenkeller kommen könnte.
Kurz entschlossen gehe ich einmal um die Kirche herum. Vielleicht habe ich mich ja im Eingang geirrt und es gibt noch andere Seitenportale. Tatsächlich, sogar drei, aber auch sie sind abgeschlossen. Außerdem bin ich jetzt sicher, dass der erste Eingang der richtige war. Vor den anderen Eingängen liegen große Haufen toter Blätter, die der Wind bestimmt nicht erst jetzt dorthin geweht hat; heute Nacht lag zumindest kein Laub vor der Tür.
Die Glocken läuten viermal zur vollen Stunde.
Die Zeit läuft.
Benutz endlich dein Gehirn, Toni!
Ich gehe zum Haupteingang. Ich könnte den Pfarrer bitten, die Tür aufzusperren. Klar, dem erzähle ich, dass in seiner Unterkirche teuflische Messen abgehalten werden. So wie ich aussehe, wird der mir aufs Wort glauben.
Weil ich nicht weiß, was ich sonst tun soll, betrete ich den großen Kirchenraum. Jemand spielt auf der Orgel und eine Handvoll Menschen singt ein Kirchenlied.
Ich setze mich hinten hin, hoffe, dass ich keinem auffalle, und verfolge den Gottesdienst. Als der Messdiener eine Glocke läutet, erinnere ich mich daran, dass Kati eine Zeit lang Messdienerin war. Sie war damals in einen anderen Messdiener verliebt, das hat sie mir verraten, weil ich nicht verstehen konnte, warum sie so etwas tun wollte.
Schwallfi, der schon als Student aus der Kirche ausgetreten ist, fand Katis Entscheidung »sehr spannend« und verbrachte damals jeden Sonntag in der Kirche, um Kati zu bewundern, was wiederum Mama sehr beeindruckt hat.
Diese Erinnerung schubst irgendetwas in meinem Kopf an. Es war etwas, das Kati erzählt hat. Irgendwas während ihrer Zeit als Messdienerin, was ihr viel Spaß gemacht hat.
Spaß in der Kirche...was war das noch gleich? Es hatte mit den anderen Messdienern zu tun, die alle Jungs und ziemlich wild waren. Irgendwann hat sie denen mal ein Schnippchen geschlagen . . . Beim Versteckspielen, ja das war’s, sie haben in der Kirche verstecken gespielt – natürlich nur, wenn der Pfarrer nicht da war.
Kati ist immer durch eine verborgene Tür hinter dem Altar in den Keller entwischt, wo die anderen sie nicht gefunden haben.
Natürlich war Kati damals nicht Messdienerin in St. Angela, aber bestimmt gibt es in den meisten Kirchen einen Zugang zum Keller, oder? Schließlich kann man ja auch meistens in eine Krypta gehen, die unter der Erde liegt.
Am liebsten würde ich dem Pfarrer zurufen, er solle sich beeilen, damit ich nach vorne stürzen und nachsehen kann.
Aber gerade greift der Organist wieder in die Tasten und alle erheben sich und singen, ich stehe auch auf, um nicht aufzufallen. Einen Moment lang frage ich mich, ob ich jetzt für immer im Höllenfeuer schmoren muss: Letzte Nacht habe ich noch »Heil dir, Luzifer« gerufen und jetzt singe ich »Lobet den Herren«. Ich muss verrückt sein.
Die Ereignisse der letzten Tage liegen plötzlich bleischwer auf meinen Schultern. Es ist unglaublich, was alles passiert ist. Und einen kurzen Moment übermannt mich bleierne Müdigkeit.
Ich will mein altes Leben zurück, mein Leben vor Valle. Nein, falsch, so stimmt das nicht ganz. Ich will mein altes Leben, aber mit Valle.
Das wird mir jetzt erst richtig klar. Und ich kann nicht glauben, dass ich vorhin noch gedacht habe, dass dies auch nur wieder ein Spiel von ihm ist.
Valle, wo bist du?
Jetzt verschwindet der Pfarrer nach hinten, die wenigen Zuhörer bekreuzigen sich und verlassen die Kirche.
Ich bleibe.
Endlich sind alle weg.
Eilig stehe ich auf und gehe vor zum Altar.
In dem Moment humpelt eine ältere Dame mit Stock herein. Schnell verdrücke ich mich in die allererste Bank und sinke auf die Knie. Dabei schiele ich über die Schulter nach hinten. Sie zündet eine Kerze an und betet vor dem Marienbild, das dort an der Wand hängt. Hoffentlich hält sie das rein körperlich nicht allzu lange durch...
Da, sie steht auf, aber dann sucht sie irgendetwas in ihrem karierten Wollmantel...das dauert. Endlich hat sie es ge funden und wirft mit einem lauten Klimpern Kleingeld in die Büchse. Schließlich humpelt sie wieder hinaus.
Ich husche weiter nach vorne. Was, wenn jetzt der Mesner mit einem Blumenstrauß kommt? Oder noch mehr Betende? Ich traue mich kaum, die zwei Stufen zum Altar hochzusteigen, es kommt mir falsch vor, Valle hat recht, eigentlich bin ich eine ziemliche Spießerin. Ich atme tief durch und laufe los, an dem prächtigen Goldkreuz mit den beiden
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