Hoellenflirt
Kopf dreht sich alles, was ist passiert, wer hat ihm das angetan, was soll ich nur tun?
Mir wird übel, kalter Schweiß tritt auf meine Stirn.
Das Wichtigste ist jetzt, ihn von hier wegzubringen.
»Glaubst du, wir schaffen es zusammen raus?«, frage ich mit zitternder Stimme.
Er blinzelt. »Müssen wir. Die sind noch nicht fertig mit mir. Toni, ich bin keiner von denen.«
»Sieht ganz so aus. Oder richten die ihre eigenen Leute auch immer so hübsch her?« Ich versuche ein Grinsen, um nicht zu heulen. »Kannst du aufstehen?«
»Es sieht schlimmer aus, als es ist«, flüstert er. »Nur ein paar Kratzer.«
Ich versuche, das flaue Gefühl in meinem Magen zu ignorieren, und stütze ihn, damit er sich aufrichten kann.
Im Licht der Kerzen leuchtet seine nackte Haut wie Alabaster und das Blut sieht aus wie erstarrte rote Wachstropfen.
»Wo sind denn deine Klamotten?«
Er zuckt mit den Schultern und fährt dann vor lauter Schmerz zusammen. »Au!«
Ich streife meine Lederjacke ab, um sie ihm anzuziehen.
Aber sobald ich den Ärmel über seinen Arm schiebe, verzerrt sich Valles Gesicht vor Schmerzen. Das Leder ist zu schwer, drückt auf die Wunden. Ich ziehe kurzerhand mein Sweatshirt aus, streife es ganz behutsam über seinen Kopf und helfe ihm dann, in die Ärmel zu schlüpfen. Dabei berühren meine Hände seine Brust und die Schultern und es erschreckt mich, wie kalt sich seine Haut unter meinen Händen anfühlt. Obwohl ich ihn so sanft wie möglich anfasse, beißt Valle sich auf die Lippen, stöhnt und hält inne.
Schneller, schneller, wir müssen zusehen, dass wir hier rauskommen, möchte ich ihn drängeln, aber sein Anblick ist so jämmerlich, dass ich immer nur »schsch« flüstere und »alles wird gut«. Dabei weiß ich nicht genau, wen von uns beiden ich damit beruhigen will.
Endlich haben wir es geschafft. Ich ziehe mir die Lederjacke wieder an.
»Schuhe?«, frage ich.
»Weg.«
Ich würde ihm sofort meine geben, aber die sind ihm viel zu klein. Hastig schnüre ich meine Lederstiefel auf und ziehe die Socken aus, stülpe sie ihm über seine unterkühlten Füße, schlüpfe barfuß wieder in meine Schuhe und binde sie zu.
Er ist immer noch halb nackt, ich möchte ihn umarmen, ihn wärmen, ihm sagen, dass ich ihn liebe, aber wir müssen hier raus. Schleunigst.
»Das Altartuch, wir legen dir das um und binden es mit diesem Hüfttuch fest. Glaubst du, dass das so gehen wird?«
»Hmm.«
Ich stemme ihn von dem Altar, zerre das schwarze Samttuch hoch und lege es um ihn wie eine Stola.
Ein Poncho wäre besser. Das Schwert vom Altar fällt mir ein, mit dem könnte ich eine Öffnung für den Kopf in den Stoff schneiden.
Es wäre mir geradezu eine Freude, da ein Loch reinzuhacken, zu fräsen, zu sägen.
Aber das Schwert ist nirgends zu sehen. Auch kein Pokal – nichts.
Ich versuche es mit den Zähnen, aber dieser verdammte Stoff ist dermaßen dicht gewebt . . . und vor allem müssen wir endlich los.
Also lege ich Valle den Stoff wieder um und versuche, ihn mit dem anderen Tuch in der Taille fest an seinen Körper zu binden. Valle zuckt wieder zusammen.
»Tut mir leid, aber ich muss das etwas fester machen, sonst hält es nicht, bis wir oben sind.« Ich ziehe einmal probehalber daran. Ja, es geht. »Du musst jetzt aufstehen, bitte, halte dich gut an mir fest.«
Valle lässt seine Füße vom Altar auf den Boden hinab und stützt sich schwer auf mich. »Geht es?«
»Nein.« Er stöhnt.
»Du musst, Valle, du musst. Oder willst du sterben, so wie dein Bruder?«
Er dreht mir den Kopf zu, seine Augen weiten sich.
Gerade, als ich es ihm erklären will, woher ich das weiß, wird mir klar, dass er gar nicht erstaunt ist, sondern wieder ohnmächtig wird. Seine Augäpfel verdrehen sich, dass ich nur noch das Weiße sehen kann, und er sackt in sich zusammen. Das kann nicht nur von den Schnittwunden kommen. Die müssen ihm irgendwelche Drogen gegeben haben, irgendetwas, damit er nicht weglaufen kann.
Ich versuche, ihn zu halten, stemme mich gegen ihn, er darf nicht auf diesen dreckigen Boden fallen, mit all diesen offenen Wunden!
Er ist so unglaublich schwer, ich fange an zu keuchen. Halte ihn, verdammt, Toni, halte ihn!
Ich kann nicht mehr, verliere das Gleichgewicht und wir fallen beide auf den Boden. Oh Gott und jetzt?
»Valle, komm schon!« Er muss wach werden, so schaffe ich das niemals. Ich schreie ihn an. »Valle, wach auf, los, Valle, wir müssen hier weg!« Tränen laufen über mein Gesicht.
Alles
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