Höllenflut
Fischer gewesen,
genauer gesagt Krebsfischer, der eigenhändig einen Pfahlbau
mitten im Sumpf errichtet und im Lauf der Jahre viel Geld
verdient hatte, weil er jeden Tag nach New Orleans gefahren
war und die Restaurants direkt mit den frisch gefangenen Tieren
beliefert hatte. Und weil er wie die meisten Cajuns so gut wie
nichts ausgegeben hatte, war er als reicher Mann gestorben.
Montaignes Muttersprache war Französisch. Englisch hatte er
erst später gelernt, und weil er die beiden Sprachen gelegentlich
durcheinanderbrachte, hatten ihn seine Kameraden auf der
Militärakademie Potpourri genannt. Montaigne, der sich sowohl
im Vietnam- als auch im Golfkrieg als Pionier an vorderster
Front bewährt hatte, machte beim Militär rasch Karriere, zumal
er in seiner Freizeit weiter studierte und mehrere akademische
Titel errang unter anderem war er auch Doktor der Hydrologie.
Mit fünfundfünfzig wurde ihm der Oberbefehl über das ganze
Mississippi-Tal übertragen, von der Mündung in den Golf bis
hinauf nach St. Louis, wo er sich mit dem Missouri vereint. Eine
Aufgabe, für die er wie geschaffen war. Montaigne liebte den
großen Strom fast ebensosehr wie seine Frau, die auch eine
Cajun war, die Schwester seines besten Jugendfreundes, und
seine drei Töchter. Aber zugleich hatte er einen tiefen Respekt
vor den Wassermassen, die der Fluß mit sich führte, und ihm
war bewußt, daß er jederzeit über die Ufer treten und
Hunderttausende Hektar Land überfluten konnte, wenn er sich
ein neues Bett zum Golf bahnte.
Kurz vor der Morgendämmerung war die George B. Larson in
eine der Schleusen eingelaufen, die die
Strömungsgeschwindigkeit verminderten und dadurch
verhindern sollten, daß sich der Mississippi mit dem
Atchafalaya vereinte. An einer alten Flußbiegung achtzig
Kilometer nördlich von Baton Rouge, wo bis vor hundertsiebzig
Jahren noch der Red River in den Mississippi mündete und der
Atchafalaya nach Süden abfloß, wurde der Strom durch riesige
Betondämme mit Ablaßschleusen reguliert. Hier hatte 1831 der
Dampfschiffunternehmer Henry Shreve die Flußbiegung
durchstechen lassen, so daß der Red River über das verbliebene
Altwasser, den sogenannten Old River, am Mississippi
vorbeigeleitet wurde. Das war die kritische Stelle, Denn der
Atchafalaya hatte sich von hier aus ein nur rund
zweihundertzwanzig Kilometer langes Bett zum Meer gebahnt,
während sich der Mississippi noch rund fünfhundert Kilometer
weiter windet, ehe er in den Golf von Mexiko mündet.
Montaigne war zum Deck hinabgestiegen und hatte
zugesehen, wie sich die großen Tore schlossen und das Wasser
langsam absank, als das Schiff vom Mississippi in den rund
viereinhalb Meter tiefer liegenden Atchafalaya geschleust
worden war. Er hatte dem Schleusenmeister zugewinkt, der
seinerseits zurückgrüßte. Keine zehn Minuten später waren die
westlichen Schleusentore geöffnet worden, und die Larson hatte
sich Richtung Süden gewendet, nach Morgan City und zum Golf
von Mexiko.
»Wie lange dauert es Ihrer Meinung nach, bis wir auf das
Forschungsschiff der NUMA stoßen?« fragte er jetzt den
Kapitän der Larson, »Bis drei Uhr müßten wir dasein«,
erwiderte Giraud, ohne einen Moment zu zögern.
Montaigne nickte zu einem großen Bugsierschlepper hinüber,
der eine Reihe Frachtkähne flußabwärts beförderte. »Sieht aus,
als ob die Holz geladen haben«, sagte er zu Giraud.
»Bestimmt für das neue Industriegebiet bei Melville.« Giraud
hatte ein scharf geschnittenes Gesicht, dem man die französische
Herkunft ansah, und mit seinem schwungvoll zurückgebürsteten
und hochgezwirbelten Schnurrbart wirkte er wie einer der drei
Musketiere. Auch er war ein Cajun, aber im Gegensatz zu
Montaigne hatte er die Gegend nie verlassen. Er war groß und
stämmig, trank für sein Leben gern Dixie-Bier und war flußauf,
flußab für seinen trockenen Humor bekannt.
Montaigne sah zu, wie vier Teenager in einem Motorboot,
gefolgt von vier Freunden auf Jet-Skis, haarscharf an dem
Vermessungsboot vorüberrasten und unmittelbar vor den
Schleppkähnen einscherten.
»Blöde Bälger«, brummte Giraud. »Da braucht bloß einmal
der Motor auszusetzen, und schon werden sie von den Kähnen
in Grund und Boden gebügelt.«
»Ich hab' das früher auch gemacht. Mit dem alten Fischerkahn
von meinem Vater. Ein fünfeinhalb Meter langer
Aluminiumrumpf mit einem kleinen Außenbordmotor, der kaum
zwanzig PS geleistet hat.«
»Entschuldigen Sie
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